Studienbanner_kleinStudien von Zeitfragen
35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
Jahrbuch 2001
Zeitfragen
Global
Weltfinanz
Weltmacht
Deutschland
Mnemeion
Suche / Archiv
Impressum
Vergessener Preuße
HWEngels II
Verfassung
Federalism
Neue Mitte?
Diskurs

Diskurs

Antrittsvorlesung (*)

Professor Habermas im Gespräch mit dem Meister der Diskurse (Discorsi)

Am 14. November 1968 in der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main

(Hans Imhoff betritt in Begleitung seines Mitarbeiters das Podium des Großen Hörsaals VI, in dem Professor Habermas gerade seine Vorlesung begonnen hat, und spricht, halb zum Publikum, halb zu Habermas gewendet.)

IMHOFF: Eigentlich habe ich gar keine Lust, ich habe zuviel gegessen. Aber irgendwann muß ich ja meine Antrittsvorlesung mal halten.
(Habermas bietet Imhoff den Stuhl vor dem Mikrophon an. Imhoff weicht zurück, so deutlich vorbereitet für diesen Fall ist die Geste.)

IMHOFF (lächelnd): Nein, dann geht es nicht. (Habermas ansprechend) Heute fange ich ganz sokratisch an: Wen beschwörst du da eigentlich, o Wunderlicher? Bei Platon: o daimonie? (Das Publikum ansprechend) Was können wir von diesen Vätern eigentlich noch lernen?

(Aus dem Publikum) Mehrere Stimmen: Lauter, wir verstehen nichts.

IMHOFF: Mich muß man nicht verstehen. (Nach einer Pause) Was wollt ihr eigentlich hier?
(Aus dem Publikum) Stimme: Ja, was wollen wir hier, sag`s uns.

IMHOFF: Ich weiß es doch nicht, ich sitze doch nicht in der Vorlesung. Ich bin Aushilfsarbeiter bei Univac.

HABERMAS: Was wollen Sie denn nun. Diskutieren wir doch.

IMHOFF: O je, dann hören wir lieber die Vorlesung weiter.

HABERMAS: Worin besteht denn nun die Antrittsvorlesung?

IMHOFF: In dem Verdienstausfall von 16 Mark, den ich erleide, um die Antrittsvorlesung halten zu können. Für heute Nachmittag habe ich mir Urlaub geben lassen.

HABERMAS: Was ist denn das Ziel Ihrer Störung?

IMHOFF: Daß sich diese Form von Antrittsvorlesung durchsetzt.

HABERMAS: Das wird sie nicht, dafür werden wir schon sorgen.
(Unruhe im Saal.)

HABERMAS: Da sich Herr Imhoff einem Mehrheitsbeschluß nicht beugen wird

IMHOFF (Habermas unterbrechend): Das ist aus der Zeitung, ich sehe, Sie haben sich vorbereitet. Vielleicht beuge ich mich doch.

HABERMAS (ertappt, lächelnd. Dann, als keine Anstalten gemacht werden, wie er gehofft hatte, über Imhoffs Verbleib abzustimmen, fortfahrend, zum Publikum gewendet): Wenn Sie sich also nicht entscheiden können, Herrn Imhoff zu veranlassen, daß er seine Show jetzt abbricht

IMHOFF (Habermas unterbrechend): Was heißt hier Show? Meine Antrittsvorlesung!

HABERMAS (schließend): Vertage ich die Vorlesung auf morgen 15 Uhr.
(Habermas packt seine Sachen und geht. Der Hörsaal erschrickt.)

Stimme eines höheren Studenten (der sich von seinem Platz erhoben hat, stark erregt): Aber Herr Professor, ich möchte Sie doch bitten zu bleiben.

(Im Saal Gelächter.)

IMHOFF (betroffen, hinter Habermas herrufend): Bleiben Sie doch hier.

(Habermas hat den Saal verlassen. Imhoff setzt sich auf das Geländer des Podiums und schaukelt, dem Auditorium die Schulter zugekehrt.)
(Imhoffs Mitarbeiter beginnt mit dem Hörsaal durch das Mikrophon zu kommunizieren. Imhoff untersagt es ihm.

IMHOFF: Es werden keine Erklärungen abgegeben. Sonst meinen die noch, wir wollten ihnen was erzählen.
(Aus dem Publikum) STIMME: Wir warten.

IMHOFF (mit dem Blick auf eine Parole an der Wand): Wartet nicht lange. (Nach einiger Zeit) Und außerdem suche ich noch immer eine neue Mitarbeiterin.

(Imhoff verläßt das Geländer und schreibt an die Tafel:
 HANS IMHOFF IST WEISE.)

(Im Saal Unruhe, Betretenheit, Verzweiflung.)

IMHOFF (sich plötzlich erinnernd, aus seiner Manteltasche kleine Zettel hervorkramend): Ich habe ja hier was mitgebracht. Also (nachdem er den richtigen Zettel gefunden hat, ablesend): Was in einer Vorlesung gelehrt wird, kann gar kein Interesse haben außer dem Interesse an der Reproduktion abstrakter Kontinuität - das ist aber nicht unser Interesse.

(Imhoff packt den Zettel wieder weg und tritt ab, während die Studenten sich unschlüssig zu verlaufen beginnen. Es bilden sich diskutierende Gruppen.

(*) Hans Imhoff / Frank Selten, Vielsprachenreihe. Erster Band. 1993 (In Vorbereitung) DM 32,– ISBN 3-922679-42-0