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35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
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Massenbach I

 

Historische Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit dem Jahre 1794

von dem OBRISTEN VON MASSENBACH Generalquartiermeisterlieutenant
und Ritter des Verdienstordens,
 


An
den Herrn General von Nicolai
zu Ludwigsburg
im Königreich Würtemberg.

 

 Vierzig Jahre sind beinahe verflossen, seit dem Tage, an welchem ich Ew. Excellenz zum erstenmal gesehen habe. Sie machten einen tiefen Eindruck auf mich. Noch heute höre ich den Ton Ihrer Stimme, und die väterlichen Ermahnungen, die Sie dem Jünglinge gaben, hat der Mann nicht vergessen. Von dem ersten Augenblicke dieser Bekanntschaft waren Sie mir mit Zärtlichkeit zugethan wie ein Vater, und von mir verehrt, wie von einem Sohne.

 Ihre beiden Schriften: Ueber Bildung des Officiers, erschienen; ich habe sie mit unablässiger Begierde gelesen. Ew. Excellenz habe ich die Richtung zu danken, die mein Geist genommen hat. Alle die Ideen von innigster Verbindung der Politik und Strategie, die mich in meinen reifem Jahren anhaltend beschäftiget, und die, weil ich sie nicht in Ausführung bringen sah, mich die Ereignisse ahnen ließen, welche die Umwälzung Deutschlands und den Untergang Preußens zur Folge gehabt haben: alle diese Ideen habe ich Ihnen zu danken. Die glückliche Zeit meiner Jugend! Wie oft ging ich zu Fuß von Stuttgardt nach Ludwigsburg, Ihren Rath, verehrungswürdigster Mann! einzuholen, wie ich meine Studien fortzusetzen habe, oder Sie um die Mittheilung eines Buches aus Ihrer vortrefflichen Sammlung zu ersuchen!

 Ich bewunderte Friedrichs Thaten. Welcher Süd-Deutsche wurde nicht von dieser Bewunderung hingerissen? Sie zog mich von den Ufern des Neckars an die Ufer der Spree. Da haben Ew. Excellenz den Mann wieder gefunden, der Sie als Jüngling liebte und ehrte. Eine beinahe zwanzigjährige Trennung hatte diese Gesinnungen der kindlichen Liebe und Ehrfurcht nicht vermindert. Das Wiedersehen war ein festlicher Tag für mich und meine Freunde, die Ew. Excellenz kannten, ohne Sie je gesehen zu haben. Denn ich habe meinen Freunden von dem herrlichen Manne erzählt, der mit sokratischer Weisheit über Krieg und über Vorbereitung zum Staaten erhaltenden, oder Staaten umstürzenden Kriege spricht!

 Jetzt beehrten Ew. Excellenz mich mit Ihrer Freundschaft, und erhöheten dadurch das Glück meines Lebens. Lang geahnete Ereignisse sind eingetreten: das Heer Friedrichs hat, unverschuldet, seine Glorie verloren! Die Schöpfung des großen Mannes ist vernichtet; der Strahl des Unglücks hat auch mich zu Boden geworfen; ich muß beweisen, daß ich, wenn gleich nicht fehlerfrei – wer ist es? – doch schuldlos, und der Achtung und Freundschaft eines edeln Mannes nicht unwürdig bin.

 Diesen Beweis enthalten die Blätter, welche ich Ew. Exceilenz überreiche. Sie ersehen aus ihnen, wie ich seit dem Jahr 1794 gedacht und gehandelt habe. Ich habe es aufrichtig mit dem Könige und mit dem Staate gemeint. Der Wunsch, Unglück zu verhindern, die Dynastie der Hohenzollern, und Preußen und Deutschland zu retten, hat mich oft veranlaßt, die Schranken des angewiesenen Wirkungskreises kühn zu überschreiten.

 Gerettet war die Dynastie der Hohenzollern, gerettet waren Preußen und Deutschland, wenn die im Frühjahr 1798 vor dem Throne ausgesprochene Idee: die östlichen Grenzen des Staates müßten befestigt werden, in Ausführung gebracht wurde.

 Immer stand ich in der Meinung; Studium der Geschichte der Kriege sowohl, als der Friedensschlüsse bilde den ächten Staatsmann. Bei denjenigen, welche das Staatsruder führten, bemerkte ich Gleichgültigkeit, selbst Verachtung dieses Studiums.

  Den Grundsatz: die geographische Lage der Grenzen der Staaten habe den wichtigsten Einfluß auf die Politik der Staaten, sah ich verkannt. Ueberall vermißte ich die enge Verbindung, in welcher der Minister des Krieges mit dem der Politik, und beide mit dem Verweser der Staatswirthschaft, stehen müssen.

 Waren in der Organisation der Staatsmaschine große Fehler bemerkbar, so zeigte sich in dem Charakter der Zeit eine nicht minder große Abspannung.

 Diese Beobachtungen schmerzten mich tief: ich sah, wie der Staat von seiner bewunderten Höhe allmählig herabsank; der Schlaf verließ oft mein Auge, und meine heißen Thränen benetzten die Hand meines Königs, als ich Ihm im Jahr 1801 eine Denkschrift über die gefahrvolle Lage des Staates überreichte.

 Von einem Kriege Preußens gegen Frankreich konnte ich, unter diesen Verhältnissen, nichts anderes erwarten, als Unglück, Verderben und Untergang. Im Jahr 1794 hätte man den Krieg mit Nachdruck fortsetzen sollen; aber eine unweise Politik hatte die Theilung Polens herbeigeführt; und indem wir unsere Kraft an der Sambre zersplittert haben würden, hätten wir sie auch an der Weichsel verloren.

 Von dieser Zeit an schwebte Preußen über dem weiten Crater eines feuerspeienden Berges. Es war für diesen Staat keine andere Rettung, als feste Verbindung mit Frankreich. Der reinste Patriotismus bestand darin, diese Vereinigung herbeizuführen. Dieser Patriotismus wurde verkannt!

 Alle Beredtsamkeit wandte ich an, die dringende Nothwendigkeit dieser Verbindung zu beweisen, als die Einheit der Regierung in Frankreich hergestellt war, und ein mächtiger Mann das Ruder des Staates ergriffen hatte. – An den Ufern der Spree herrschte nur die Gewohnheit in dem Schatten des alten Ruhms; das Genie wurde als eine exotische Giftpflanze betrachtet. Fürwahr, wir waren ohne schaffende Kraft, wir waren nur brauchbar als Werkzeug. Und ein vortreffliches Werkzeug wären wir in Napoleons Hand gewesen. Das war meine innige Ueberzeugung.

 In dem Bestürmen des Hauses eines Staatsdieners, der die Versöhnung mit Frankreich herbeiführt, und dessen glückliche Verhandlungen den Grenzen des Staates im Westen eine treffliche Abründung verschafften; – in der bittersten Verunglimpfung dieses Mannes, und in der Vergötterung seines englisch-russisch gesinnten Nebenbuhlers; – in solchen Handlungen, meinte man, liege Kraft, Charakter und Größe! Dieser Patriotismus hat freilich nie meine Brust gehoben.

 Als nun dieser Krieg ausbrach, den eine falsche Politik herbeigeführt, und dessen glückliche Erfolge eine saumselige Strategie selbst unmöglich gemacht hatte; als der in den Waffen erzogene, tapfere und einsichtsvolle, aber mit dem Geiste der Zeit nicht Schritt haltende Herzog von Braunschweig, dessen Bewunderer ich war, und dessen Tadler ich ungern bin, die Stellung auf dem linken Ufer der Saale wählte, und durch keine Vorstellungen bewegt werden konnte, entweder, zu rechter Zeit, einen Offensivschritt, oder doch wenigstens einen solchen Schritt zu thun, der die Armee vor der Gefahr sicherte, in der linken Flanke umgangen, und von allen ihren Hülfsquellen abgeschnitten zu werden: da bekämpfte ich vergehens die Unentschlossenheit des Feldherrn, dessen betagter Erfahrung unumschränktes Vertrauen geschenkt worden war. Der Wahl dieser Stellung muß der schleunige Untergang der Preußischen Armee zugeschrieben werden.

 Der Herzog von Braunschweig hatte Mack’s Betragen bitter getadelt, über den Lech geschritten zu seyn, und seine rechte Flanke nicht gedeckt zu haben. Jetzt beging Er den nämlichen Fehler, und that alles, um auch umgangen, und von Schlesien, dem Stützpunkte unserer Macht, getrennt zu werden.

 Für den Beobachter der Menschen war es höchst interessant, die Hartnäckigkeit zu sehen, mit welcher der Herzog von Braunschweig und seine Umgebungen auf der Behauptung einer Stellung bestanden, die gegen alle Grundsätze gewählt war. So verblendet, ist es denn ein Wunder, daß wir untergegangen sind?

  Als endlich der gewaltige Stoß des Kolosses alle Gemüther erschüttert, und alle Fugen der Armee auseinander gerissen hatte: da gab es keine Kraft mehr, die groß genug gewesen wäre, das Zusammenstürzen des Gebäudes zu verhindern.

 Habe ich, als Zeuge einer furchtbar verlorenen Schlacht, oder auf der Flucht von den Ufern der Ilm nach den Ufern der Uker, oder an dem unglücklichsten Tage meines Lebens, einen Fehler begangen; so bin ich doch keines Verbrechens schuldig.

 Alle die, welche jetzt als meine Tadler und Verleumder, und besonders als meine Richter auftreten, mögen sich des zerschmetternden Eindrucks erinnern, welchen der Verlust dreier Schlachten auf uns alle gemacht hat. Ich gestehe aufrichtig, in welcher Stimmung ich mich befunden habe. Möchten alle so aufrichtig seyn!

  Ew. Excellenz und allen einsichtsvollen, aufgeklärten und parteilosen Männern stelle ich anheim, ob ich meine Schuldigkeit, als Soldat, gethan, und ob ich die Kapitulation von Prenzlau veranlaßt habe?

 Würde die Armee in diesen Cul de sac geschleudert worden seyn, wenn die unter den Befehlen des Fürsten Hohenlohe stehende Armee entweder gar nicht auf das linke Saalufer gezogen worden wäre, oder wenn sie frühzeitig genug hätte links abmarschiren, und das rechte Ufer der Mulde gewinnen dürfen? Würden wir nicht acht, ja selbst zwölf Stunden vor dem Feinde den gefährlichen Paß von Prenzlau zurückgelegt haben, wenn der Unter-General den Befehlen des Feldherrn Gehorsam geleistet hätte? Würden wir nicht die kaudinischen Gabeln ganz vermieden haben, wenn wir über Nieden marschirt wären? –

 Wenn es in den Planen des Kaisers Napoleon gelegen hätte, nach den an der Oder erhaltenen Vortheilen, nicht nach Warschau zu eilen, sondern mit Blitzesschnelle über Golberg und Danzig herzufallen: welchen Widerstand würden wohl diese Festungen in dem Monat November (1806) geleistet haben?

 Ich bitte alle die, welche, unmittelbar nach der Schlacht, die Armee verlassen haben, sich ihrer Pulsschläge, in diesen kritischen Momenten, zu erinnern, und dann die Gewissensfrage, welche ich ihnen hier vorlege, sich selbst zu beantworten.

 Die tapfern Vertheidiger von Colberg und Danzig hatten das Glück, Zeit gewinnen zu können. Was konnten sie anders thun, als ihre Kräfte wieder stählen ? –

 So urtheile ich über diese Dinge: Homo sum; et humani nihil a me alienum. Andere mögen auch so human seyn!

 Ein Mann, der das persönliche Wohl des Königs, seines Herrn, und das Wohl des Staates wünschte, und jenes und dieses, mit Anstrengung aller seiner Kraft, zu befördern suchte; ein Mann, der, mit Gefahr, die Gnade des Königs zu verlieren, die Charakterlosigkeit seines ersten Feldherrn schilderte, und, mit freier Brust und Stirne, vor den Gefahren der innern Zerrüttung warnte, und, beim Ausbruch des Krieges, Ideen angab, welche die Armee, den König und den Staat vom schleunigen Untergang gerettet haben würden: ein solcher Mann nimmt nicht das Mitleid des Staatschefs in Anspruch; er fordert Gerechtigkeit vom Monarchen; er verdient die milde Beurtheilung seiner Zeitgenossen; er hat nicht aufgehört, der Achtung seiner Freunde würdig zu seyn.

 Des Verraths unfähig, und den verachtend, der mich dessen beschuldigt, und wäre der Verläumder ein Fürst; vom Egoismus nicht irre geführt; beruhigt, durch das Bewußtseyn, die Pflicht des Menschen erfüllt zu haben, als die Pflicht des Soldaten, nach meiner in dem grausamen Moment tief gefühlten Ueberzeugung, nicht mehr erfüllt werden konnte – sehe ich mit Ruhe auf alle meine Feinde herab. –

 Dieser vierzehnjährige Kampf, den ich mit allen denjenigen zu bestehen hatte, die nicht begreifen wollten, daß die mit der geographischen Lage Preußens vorgefallenen Veränderungen den entscheidendsten Einfluß auf die Politik Preußens haben müßten: dieser hartnäckige Meinungskrieg hat die Ueberzeugung in meiner Seele befestigt, daß es Zeiten giebt, wo die Sprache der Wahrheit nicht gehört, und die Redlichkeit dessen, welcher der Wahrheit sein Leben gewidmet, verkannt werden soll.

 Nach diesem Sturme, der meine Kraft gelähmt, sei es mir vergönnt, mich nach einem Asyl zu sehnen, in welchem ich meine Tage beschließen kann.

 In der Abgeschiedenheit von aller Welt tröstet mich die Freundschaft und das Bewußtseyn, vielleicht Ideen angegeben zu haben, die das Unglück verhindert hätten, das dieser Krieg von den Ufern des Rheins bis an die Ufer des Memels verbreitet; dieser Krieg, der Europa aus allen seinen Fugen gerissen hat, und dessen eiserner Tritt unsere Enkel noch zermalmen wird.

 Wir sind beide, Sie als Greis, ich als ein vom Schicksal danieder geschmetterter Mann, vielleicht dem Ende unserer Laufbahn nahe. Ich muß eilen, Ew. Excellenz ein Denkmal meiner Hochachtung und meiner Dankbarkeit zu stiften. Nehmen Sie das Geschenk dieses Buches mit Güte auf.

 Ich bin mit Ehrfurcht Ew. Excellenz
gehorsamer Diener
Maßenbach.
Potsdam im Monat März 1808.
 

  

Vorrede

  Ich will in dieser Schrift die Ursachen entwickeln, und die Umstände angeben, welche den schleunigen Sturz des preußischen Staates veranlaßt und begleitet haben.
Viele haben dieses schon vor mir gethan; vielleicht entwickle ich einige neue Verhältnisse, und verbreite dadurch ein Licht, welches dem künftigen Geschichtschreiber vorleuchtet.
Diese Schrift besteht aus zwei Theilen.

 In dem ersten Theile ist, von der politischen Lage des Staates seit dem Jahre 1794 bis zu dem Jahre 1806 die Rede. Der zweite Theil handelt von dem Feldzuge des Jahres 1806 bis zu der Katastrophe, die den Untergang der Armee zur Folge hatte.

 Aus welchem Gesichtspunkte ich die politische Lage Preußens seit dem Jahr 1794 betrachtet, wissen meine Freunde, wissen die nahen und entfernten Umgebungen des Königs, und der König selbst kennt meine Ansichten. Gegen Niemanden verhehlte ich meine Ueberzeugungen. Ich habe immer in der Meinung gestanden, die Politik der Staaten gründe sich auf die Unwandelbarkeit des Interesse der Völker, nicht auf die Wandelbarkeit der Charaktere der Männer, die das Ruder der Staaten führen; und ich glaubte, diese Männer müßten ohne Leidenschaftlichkeit handeln. Ich stand in der Meinung: dem Verhältniß der Staaten müsse sich das Verhältniß der Personen unterordnen.

  Seit vielen Jahren trug ich die Ueberzeugung mit mir herum: der preußische Staat müsse, in einem Kriege gegen Frankreich, seine Territorial-, seine Pekuniär-, seine Militär-, seine Förderativ-, d. h. seine ganze Kraft verlieren.

 Nicht minder lebhaft war in mir die Ueberzeugung: wenn Preußen zertrümmert werden sollte, so würde Frankreich diese Zertrümmerung noch nach Jahrhunderten bereuen.

  Ich habe es schon einmal gesagt, und ich habe den Muth, es zu wiederholen: diese Zerstückelung der Machtgebiete an der Elbe, Oder und Weichsel, hat auf das Schicksal des 20sten und 21sten Jahrhunderts eben den unglückbringenden Einfluß, welchen die von Karl dem Großen veranlaßte Theilung der Macht seiner Nachfolger auf das zehnte und elfte Jahrhundert gehabt hat.

 Der Monarch, dessen Größe ich anerkenne, muß diese Wahrheit auch anerkennen, und den Muth ehren, mit welchem ich sie behaupte.

 Die folgenden Generationen werden ihm dann Weihrauch streuen, wenn Er den Norden wieder befestigt, und den inkommensurabeln Fortschritten Rußlands, ewig Englands Bundesgenossen, einen starken Damm entgegensetzt. –

 Sein thätiger Geist baue wieder auf, was sein mächtiger Arm zerstört hat; und die Welt wird, nach Jahrhunderten, sein Andenken segnen!

 Ich ehre Napoleon, weil Ihm die Natur das Siegel der Oberherrlichkeit aufgedrückt hat; ich liebte Ihn vor dem Kriege. – Wäre eine herzliche Versöhnung zwischen meinem König und Ihm möglich gewesen! Würde sie noch herbeigeführt! Mein heißester Wunsch ist es: Napoleon möchte den Thron der Hohenzollern aufs neue befestigen! – Mächtiger Kaiser! erfülle die Bitte der Zeitgenossen und die Erwartungen der Nachwelt!

  Nie habe ich einen Menschen vergöttert; ich will auch Napoleon nicht vergöttern. Die Enkel werden ihn unter die weisen Reformatoren der Welt rechnen, wenn Er Frankreich wieder auf die Höhe eines Handelsstaates zurückführt, und dadurch beweist, daß Frankreich, nur durch die Noth gezwungen, eine Zeitlang ein Kriegerstaat gewesen sei. Die Nachwelt wird Napoleon unter die Zahl der ächt großen Männer setzen, wenn Er das Verhältniß Frankreichs zu den übrigen Staaten auf die Selbstständigkeit der Völker gründet. Vom Egoismus nicht verkrüppelt, lasse ich mich durch die Gestalt des Augenblicks nicht über die Gestalt der Jahrhunderte täuschen, die Napoleons Schöpfung herbeiführen wird. Ich will einmal den Glauben an ächte Größe noch nicht aufgeben, und hoffen, Napoleon werde größer, als Alexander und Karl; glücklicher, als Otto und Heinrich seyn! –

 Die Ansichten, welche ich hier aufstelle, werden wieder verkannt werden! Es giebt wenige Menschen, welche sich auf einen freien, unumwölkten Standpunkt erheben können!

 Mit Hohn sprechen sie: Weder auf dem intellektuellen Standpunkte, in diese Ideen einzugehen, noch auf dem politischen, sie ins Leben zu bringen, und an die Ausführung solcher Entwürfe praktisch die Hand zu legen, befänden sie sich. – Man möchte sie fragen: auf welchem Standpunkte sie sich denn befänden, und was denn der Zweck ihres Strebens überhaupt sei?

 Ich war bestimmt, früh an dem Horizonte der Welt den Orkan heraufsteigen zu sehen, der mein Vaterland zertrümmern sollte; ich war nicht bestimmt, das Unglück zu verhüten.

 Um diese Centnerlast den jähen Felsen hinaufzuwälzen, oder ihr Herabsteigen zu verhindern, ward ein kraftvoller Arm erfordert; und den hatte mir die Natur nicht verliehen. Das Schicksal hatte mich nicht in Verhältnisse gesetzt, in welchen ich von meiner geringen Kraft Gebrauch machen konnte; und so mußte ich mit vielen andern von der beschleunigenden Gesehwindigkeit, mit welcher sich die Last auf mich selbst warf, zermalmt werden.

 Indem ich den dünnen Schleier hinwegziehe, der alle Gebrechen der Staatsverwaltung nur wenigen Augen noch verhüllt; indem ich mit der Freimüthigkeit öffentlich spreche, mit welcher ich seit vielen Jahren öffentlich gesprochen habe; indem ich mich dem Könige mit der Ehrfurcht, die ich dem Diadem schuldig bin, öffentlich nahe, wie ehemals schriftlich: handle ich nicht unpatriotisch, nicht pflichtwidrig; ich erzähle Thatsachen, die zur Kunde von Jedermann gekommen sind; ganz Europa kennt unsere Verhältnisse; ich decke sie nicht auf; Andere haben den dichten Vorhang hinweggezogen; Andere haben den Nimbus unserer Größe vernichtet. –

  Der König kann die liebende Ehrfurcht nicht verkennen, mit welcher ich von Ihm spreche; die Nachwelt soll die Freimüthigkeit ehren, mit welcher ich der Wahrheit am Fuße des Throns ein Opfer bringe.

 Die Schilderung des Herzogs von Braunschweig ist der Wahrheit getreu; ich hätte mehr sagen können, als ich gesagt habe. Die Verhältnisse, in welchen ich mit diesem Fürsten gestanden, werde ich in einer andern Schrift entwickeln, und dann wird manches in einem noch hellem Lichte erscheinen, als ich es hier aufstellen konnte.

 Die Generale, von welchen ich rede, haben so gehandelt, wie ich erzähle.

 Niemand ist dem General Grafen Tauentzien mit so liebevoller Achtung ergeben, als ich; aber dieser General hat in der Nacht vom 12ten zum 13ten Oktober die entscheidenden Punkte auf dem hohen Rande des Saalthales verlassen.

  Ich habe keine Gelegenheit versäumt, dem Generallieutenant von Holzendorf Ehrerbietung zu bezeigen; aber dieser General, und die Generale Schimmelpfennig, Bila und Graf Tauentzien, haben in der Nacht vom 13ten zum 14ten die Nachrichten, welche ihre Vorposten eingebracht haben miissen, nicht in das Hauptquartier melden lassen.

 Wer hat dem Generallieutenant von Grawert eine treuere Freundschaft bewiesen, als ich? Aber, dieser General ist, weil er von der in der Nacht vom 13ten zum 14ten Oktober angekommenen Ordre des Herzogs von Braunschweig nicht unterrichtet wurde, die Ursache, daß wir unsern rechten Flügel nicht fest stehen ließen, und unsern linken Flügel nicht in der Richtung nach Uttenbach zurücknahmen.

 Nie habe ich die Talente und den Feuereifer des Generals von Rüchel verkannt, ungeachtet ich seine Meinungen bekämpft habe.

  Den General Blücher betrachte ich als den Mann ohne Furcht und ohne Tadel. Von diesen beiden Generalen spreche ich am ausführlichsten. Ich habe diesen Männern keine Beweggründe ihrer Handlungen untergeschoben; ich habe aber die Gedanken erzählt, die ihr Betragen in mir erweckt hat; und ich mußte diese Gedanken erzählen, weil ich mir vorgenommen habe, in dieser Schrift zu zeigen, wie ich gedacht und wie ich gehandelt habe; ich wollte Geständnisse schreiben.

  Als wir in der Schlacht bei Vierzehnheiligen mehrere Stunden vergeblich auf die Ankunft des Generallieutenants von Rüchel warteten: mußte ich denn nicht an das Gefecht bei Franckenthal denken? Diese Nothwendigkeit liegt in den organischen Gesetzen des Denkens.

 Da ich den emporstrebenden Geist des Generals von Blücher kenne, und mich seiner Aeußerungen im Jahr 1794 erinnerte; so mußte ich Ihn in Neustadt mit scharfem Auge beobachten: ich erfüllte dadurch meine Pflicht. Denn, hätte ich eine Beobachtung gemacht, welche dem Interesse des Königs schaden konnte; so theilte ich dem Feldherrn diese Beobachtung mit. Ich habe nichts beobachtet, was eines Mannes unwürdig gewesen wäre; ich hatte also auch nicht nöthig, Bedenklichkeiten zu äußern.

 So habe ich, in den zartesten Verhältnissen, die Pflicht erfüllt, die ich dem Könige und dem Staate schuldig bin. – Ich glaube, ohne Eigenliebe, behaupten zu können, daß, zu dieser Zeit, nichts Wichtiges meiner Aufmerksamkeit entschlüpft ist. Späterhin verlor sich diese Elasticität des Geistes. Ist dies ausschließend und allein meine Schuld?

 Ich muß einmal alle Ursachen unseres Unterganges angeben; ich bin genöthigt, Personen zu nennen, und ich nenne sie, ohne die Absicht zu haben, sie zu beleidigen. Die Wahrheit sollte Niemanden beleidigen.

  Man wundere sich nicht über die Freimüthigkeit, mit welcher ich jetzt von einem Freunde sprechen werde. Ich ehre die Freundschaft, liebe den Freund, und beurtheile den Diener des Staats!

 Der Obrist Kleist ist ein dem Könige und dem Vaterlande treu ergebener Mann. Aber er konnte den, ich möchte sagen, inkommensurabeln Forderungen seines Amtes nicht völlig entsprechen.

  Man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er das Unglück kommen sah; man muß aber auch hinzufügen, daß seine Verhältnisse ihn mehr, wie jeden andern, in den Stand setzten, mit den lebhaftesten Farben eine Gefahr zu schildern, die den Staat nothwendig vernichten mußte.

 Ich beweise zuerst, daß der Obrist Kleist das Unglück kommen sah. Wenige Tage nach der Rückkunft des Herzogs von Braunschweig aus Petersburg sagte er mir:

  „Es geht  wieder los!“
Ich. „Wir mit Frankreich gegen Rußland? – hoffe »ich.“
O. K. „Gerade umgekehrt!“
Ich. „So sind wir verloren!“
O. K. „Wir müssen einen großen Krieg haben, uns zu retten.“

 Ich schwieg. Es kam mir vor, als wünsche man sich ein hitziges Fieber, um zu genesen. Dieses Gespräch bestimmte mich, meine Ideen über einen Krieg, der nächstens ausbrechen würde, zu Papier zu bringen, und diesen Aufsatz dem Könige einzureichen.

 Kalt wurde er vom Könige und von seinem Generaladjutanten aufgenommen. Man sah in mir weiter nichts, als den Lobpreiser Napoleons, und wollte den Mann verkennen, dessen unüberwindliche Ueberzeugung einmal darin bestand: nur in Verbindung mit Napoleon könne Preußen fortdauern. Man begriff nicht, daß ich Napoleon liebte, weil ich meinen König und mein zweites Vaterland liebe. Meine Neigung für Napoleon war die eigennützigste Neigung, die je in dem Herzen eines Menschen gelegen hat. Nicht Napoleon liebte ich; mich, meine Familie, meinen Wohlstand, meinen König, der mir diesen Wohlstand gegeben hatte, liebt’ ich. – Den König, den Staat, und mich selbst wollte ich nicht zerstört sehen!

 Ich beweise ferner, daß der Obrist Kleist nicht alles dasjenige gethan hat, was ihm seine Verhältnisse zu thun erlaubten, ja zu thun vorschrieben, diese Gefahr abzuwenden, oder ihr kräftiger zu begegnen.

 Hat er mit überzeugender Beredtsamkeit die Unmöglichkeit bewiesen, in welcher wir uns befanden, gegen Frankreich, und besonders gegen Napoleon, Krieg zu führen? Hat er die moralische Kaducität des Herzogs von Braunschweig geschildert, mit lebhaften Farben geschildert? Hat er mit Nachdruck von unsern politischen und strategischen Versäumnissen gesprochen? Sah er schon im März 1806 die Wahrscheinlichkeit, die Gewißheit des Ausbruchs dieses Krieges: warum veranlaßte er nicht, daß bei Magdeburg alle die Ideen ins Leben gerufen wurden, welche diesen Platz zu einer Central-Festung machten? Kannte er nicht das geringe Maaß der physischen Kräfte des Gouverneurs? Kannte er nicht den Kommandanten? Hatte ich ihn nicht selbst in dem Briefe von 8ten Mai an den Steinhaufen Stettin erinnert? Der Obrist Kleist war der eigentliche Generalquartiermeister der Armee. Warum veranlaßte er nicht, daß die Officiere des Generalquartiermeisterstaabes, anstatt in Berlin, in Potsdam, in Hannover, in Pasewalk zu träumen, nach Sachsen, nach Thüringen, nach Franken gesendet wurden? Warum trug er nicht darauf an, daß früh ein Operationsplan gegen Frankreich entworfen wurde, wenn denn doch nun einmal der Operationsplan gegen Rußland verworfen werden sollte? Würde man alsdann nicht wie von selbst darauf gekommen seyn, die Brückenköpfe bei Wittenberg und Dessau zu verschanzen, und die Festungen Schlesiens zu eben der Zeit in Vertheidigungsstand zu setzen, zu welcher die Armee mobilisirt wurde? Warum modificirte der Obriste Kleist nicht die Idee einer Landmiliz, indem er jedes dritte Bataillon mit mehrern Compagnien vermehrte? Wie leicht war diese Organisation, und wie groß würden die Resultate gewesen seyn, welche durch sie erzielt wurden? Waffen waren überall vorhanden. Es bedurfte nur einer kraftvollen Erklärung des Königs, und alle, welche Waffen tragen konnten, ergriffen die Waffen. Warum sprach der König nicht schon damals zu seinem Volke: Quousque tandem ignorabitis vires vestras! – Numerate saltem quot ipsi sitis! – Tamen acrius crederem vos pro libertate, quam illos pro dominatione certaturos. – Quousque me circumspectabitis? – – Ego quidem nulli vestrum deero! Warum veranlaßten die intimen Minister, wie Herr Lombard sich und seine Gehülfen nennt, nicht diese Erklärung? Die Nation würde Armee, und die Armee Nation geworden seyn!! Die Lage des Staates erforderte, daß der Obrist Kleist, als Kabinettsrath der Strategie und also auch der Politik, das Uebergewicht haben mußte über die Kabinettsräthe der Diplomatik und der Staatsökonomie. Die kraftvolle Beredtsamkeit des Obristen Kleist oder des Generaladjutanten überhaupt, mußte also den schimmernden Witz des Herrn Lombard in seiner ganzen Blöße hinstellen, und die steife, auf die engen Ideen des Rechts sich gründende Logik des Herrn Beyme zu Boden schleudern.

 Alles dieses, und noch weit mehr, würde der Obrist Kleist haben bewirken können, wenn er die Organisation des engem Ausschusses des Generalquartiermeisterstaabes in allen ihren Beziehungen hätte begreifen, wenn er sich mit Männern hätte umgeben wollen, die im Stande waren, Ideen anzugeben, wenn er veranlaßte, daß der König diese Männer selbst sprach, und kein Vorurtheil den König von diesen Männern trennte.

 In der Zeit der Noth versammelte zwar der Obrist Kleist den General Phull und einige andere Officiere um sich. Aber, von allen Verhältnissen wurden weder der General Phull, noch diese andern Officiere unterrichtet. Ein volles Vertrauen fand nicht Statt. Zu den Konferenzen mit dem Könige selbst wurden diese temporären Gehülfen nie, oder doch nur sehr selten gezogen. Der Obrist Kleist fühlte die Nothwendigkeit, die Kenntnisse des General Phull zu benutzen. Aber, indem er sich diesem Manne nicht ganz hingab, gab sich der General Phull auch ihm nicht ganz hin. Diese gespannten Verhältnisse erklären die Ungemüthlichkeit jenes Mannes, der sich mit einem halben Vertrauen nicht begnügen wollte. Wer kann sich damit begnügen?

 Mit Recht, kann man den Obristen Kleist fragen: warum er, nach der Schlacht bei Auerstädt, nicht über Franckenhausen und Eisleben nach Halle zu dem Herzog Eugen von Würtemberg geeilt sei, diesen Fürsten von der Lage der Dinge zu unterrichten? Warum auch er die Armee nicht in Magdeburg abgewartet, warum er sich nicht an sie angeschlossen, warum er nicht alle Gefahren, die der Armee jetzt noch bevorstehen mußten, mit ihr getheilt habe? Auch seine Gegenwart würde die Armee gerettet haben. Der Generaladjutant des Königs war ein wichtiger Mann. Er vermochte mehr als selbst der kommandirende General. Wäre die am 26sten Oktober Morgens um halb 7 Uhr von Ruppin abgegangene Ordre von dem Generaladjutanten des Königs contrasignirt gewesen; so würde dieses Zeichen die Vermuthung aufgehoben haben, diese Ordre komme von mir.

 So muß ich also auch noch einmal von mir sprechen. Man wußte wohl, daß ich diesen Befehl veranlaßt hatte; und dies ist vielleicht eine der Ursachen, warum er kalt aufgenommen ward. Ich darf dieses vermuthen. Meine Ansicht der Dinge hatte nie den Beifall eines Mannes, der beständig von einem andern Gesichtspunkt ausging, und der vielleicht auch jetzt der Meinung gewesen ist: man würde, ohne diesen Nachtmarsch, seinen Zweck erreichen. Indessen, ich kann mich in meiner Vermuthung irren, und spreche sie deswegen nicht vollständig aus.

 Wenn ich alle meine Verhältnisse ruhig überdenke, so bin ich eigentlich nicht jetzt erst unglücklich geworden: ich bin es seit vierzehn Jahren gewesen. Dieser hartnäckige, zu keinem ersprießlichen Resultat führende Meinungskrieg; diese Scheidewand, welche man zwischen dem Könige und mir gezogen hatte; diese Unmöglichkeit, so zu wirken, wie ich glaubte, wirken zu müssen: alle diese Verhältnisse haben es endlich herbeigeführt, daß ich am 28sten Oktober (1806) alle meine Kraft verloren hatte, und ein ganz anderer Mensch geworden war, als ich mein ganzes Leben hindurch gewesen bin, und vielleicht wieder seyn würde, wenn nicht ein feindseliges Schicksal fortführe, mich zu verfolgen. –

  


ERSTER TEIL

Inhalt des ersten Theils

 

König Friedrich II. legt den Keim zu dem schnellen Untergange des Staats, weil er seinen nächsten Nachfolger nicht mit liebevoller Achtung zu sich heraufzieht, und die Erziehung seines zweiten Nachfolgers dem Trübsinn eines kränkelnden Mannes und der Geistesschwäche eines Greises anvertraut. - König Friedrich Wilhelms II. Krieg gegen Holland wird durch Familienverhältnisse veranlaßt, befördert Englands Interesse, und ist Preußen eher nachtheilig als vortheilhaft. - Sein Krieg gegen Frankreich wird ohne einen tiefen politischen Sinn unternommen, und ohne Kraft geführt. - Betrachtungen über den Feldzug 1794. - Preußen kann die österreichischen Niederlande und Holland retten; es rettet sie nicht; Frankreich rückt mit seinen Grenzen bis an den Rhein vor; und durch die Theilung Pohlens gewinnt Rußland einen noch größern Einfluß auf das westliche Europa. - Betrachtungen über Preußens Lage nach dem Baseler Frieden. - Preußen konnte nicht nur seinem politischen Untergange entgehen, sondern zu einer wahren gediegenen Macht emporsteigen, wenn es sich fest mit Frankreich vereinigte und seine östlichen Grenzen befestigte. - Versuche des Verfassers, den Herzog von Braunschweig für diese Ansicht der Dinge zu gewinnen. - Der große Föderativ-Staat zwischen dem Niemen und der Weser. - Das Repräsentativ-System; der öffentliche Kredit; der Erziehungspallast. - Ausführliche Erklärung des Verfassers über die Organisation des Generalquartiermeisterstaabes. - Worin der Verfasser Befriedigung seines Ehrgeizes gesucht habe? - Das Jahr 1805. Die Erklärungen des Staatsministers Freiherrn von Hardenberg. Die Reise des Generals von Zastrow nach Petersburg. - Meine angstvolle Unruhe in Schlesien; die Scene in Sanssouci im Monat September. - Die Versammlung der Armee an der Warthe. - Plötzliche Veränderung unseres politischen Systems. - Der Marsch nach der Elbe und nach Erfurt. - Meine Ansicht der Dinge nach den Vorfällen bei Ulm und nach dem Verluste Tyrols. - Ich werde nach Potsdam gerufen. Der Abend des dritten, und die Nacht vom dritten zum vierten Dezember. - Die Monate December (1805) und Januar (1806) entscheiden das Schicksal Preußens. - Die Rückkunft des Staatsministers Grafen von Haugwitz aus Wien. - Meine Unterredung mit dem Herzoge von Braunschweig. - Die Krone Pohlens, oder der König von Preußen-Pohlen. - Der Herzog reiset nach Petersburg. - Der in den letzten Tagen des Monats März (1806) entworfene Operationsplan. - Die Lobrede auf Sülly; meine Dedication an den König.


ERSTER THEIL,

über die politisch-militärische Lage Preußens seit dem Jahr 1794 bis zu dem Jahr 1806

 Das Ende der Regierung König Friedrichs II. trug das Gepräge des Alters. Die Hinfälligkeit aller menschlichen Größe offenbarte sich auch an Ihm! Dieser mit Kraft und Einsicht herrschende König hat die vorhandenen Staatsorgane zerstört, und durch die eingeführte Kabinettsregierung bei seinen Nachfolgern die einseitige Behandlung der Staatsgeschäfte veranlaßt. In seinen Finanzeinrichtungen lag der dem Ausbruche nahe Keim eines krebsartigen Beinfraßes, der das Lebensprincip des Staates vernichten mußte.

  Die Erziehung seiner Nachfolger hat dieser König nicht nach einer großen Idee geleitet, selbst vernachlässigt hat er diese heilige Pflicht; den Neffen hat Friedrich nicht mit liebevoller Achtung zu sich heraufgezogen, und die Bildung des Enkels hat er dem Trübsinn eines kränkelnden Mannes und der Geistesschwäche eines Greises anvertraut.

 Auf Friedrich folgte ein Monarch, der dem zufälligen Genusse, den das Königsamt gewährt, den Vorzug gab, vor der Pflicht, die das Königsamt erheischt. Von einer falschen Ansicht geleitet, glaubte König Friedrich Wilhelm II. die Würde des Erbstatthalters und Generalkapitains der holländischen Republik zu befestigen, indem er die seiner Schwester zugefügte Beleidigung rächte, und durch diese Rache den Haß der Republikaner gegen das Geschlecht der Oranier nur noch mehr entflammte. Indem die Persönlichkeit Familienverhältnisse knüpfte, dachte sie nicht auf die Gründung und Befestigung der Staatsverhältnisse, welche das Schicksal Hollands an das Schicksal Preußens knüpfen mußten. Indem der Erbstatthalter seine Rechte über die Gebühr ausdehnen wollte, mußte Er in dieser Usurpation seinen Untergang finden; indem er nicht mehr Diener des Staats, sondern Herr der Republik seyn wollte, verlor der Oranier sein Amt; und indem er das Schicksal der Republik an Britanniens Dreimaster fesselte, verlor die Republik ihren Antheil an der Herrschaft des Meeres, und endlich selbst ihr politisches Daseyn. - Preußen glaubte im Jahre 1787 die Familie der Oranier zu retten. Da aber die Verfassung der Republik nicht auf ihre ursprüngliche Form zurückgeführt wurde, so legte Preußen den Grund zum Untergange der Dynastie der Oranier und des Freistaates, welchen der Größte dieses Geschlechts gestiftet hatte.

 Unbekannt mit dem Weltgeist, wollte König Friedrich Wilhelm II. an den Ufern der Seine einen morschen Konigsthron, mit den Waffen in der Hand, an der Spitze einer kaum funfzigtausend Mann starken Armee befestigen. Unbesorgt über die Fortschritte des nordischen Kolosses, half er an den Ufern der Weichsel einen Königsthron zertrümmern, der die Scheidewand war, zwischen seinem Reiche und Rußland.

 So ward dieser Krieg entzündet, dieser verhängnißvolle Krieg, dessen Flammen sich anfänglich auf der Erde fortwälzten, in dem Rauche, den sie verursachten, zu ersticken schienen, bald aber hoch aufloderten, vom Rhein und vom Po nach der Donau und der Elbe eilten, und sich unaufhaltsam den Staaten eines friedeliebenden Königs näherten, über dessen Thron sie jetzt zusammenschlagen.

 Ich habe nie zu der Partei derjenigen gehört, welche von der Zweckmäßigkeit eines Krieges überzeugt waren, oder überzeugt zu seyn vorgaben, welchen Preußen mit oder ohne Coalition gegen Frankreich führen könnte. Immer war ich der Meinung, das Streben eines Volkes, seine fehlerhafte Staatsverfassung zu verbessern, müsse durch keine äußere Kraft gehemmt werden. (Herv. DH)

 Ich zog im Jahr 1792 in das Feld, in der Absicht, meine Ausbildung zu befördern, und in der Ueberzeugung, dieser Kampf der Könige gegen den Geist der Völker werde ein dem preußischen Staate nachtheiliges Resultat hervorbringen.
Dieser Krieg war eine Felge der kleinen Ansichten, welche den Königen von den Ursachen der französischen Revolution hingestellt worden waren.

 Kaiser Leopold II. und König Friedrich Wilhelm II. beschlossen zuerst den Kampf, welchen sie, irre geleitet von dem Flüchtling Artois, in wenigen Monaten und mit geringer Macht ehrenvoll zu endigen glaubten. Diese Monarchen handelten, wie bei der Bekämpfung der Schweizer, der Holländer, der Amerikaner, immer gehandelt worden war: die Gewalt einiger wenigen, ohne Feuergeist angeführten Bajonette, sollten den unsterblichen Feuergeist der Freiheit niederstoßen! Es war, als trügen die Monarchen einige Tonnen Wasser in den feuersprühenden Vesuv!

 Lächelnd sah Katharina II. auf den neuen Bund. Willkommen war der Arglistigen die Veranlassung, die mächtigen Nachbarn zur Vertheidigung des Throns der Bourbonen zu ermahnen. Schlau erwartete sie den Zeitpunkt, den Thron der Jagellonen umzustürzen und die Pforte der Osmanen zu sprengen. Kaiser Leopold starb, und viele vernünftige Männer hofften, die zu Pillnitz gefaßten Beschlüsse würden mit diesem Monarchen ins Grab gesenkt werden. Die Hoffnung wurde getäuscht, und der furchtbare Krieg nahm, in laulichter Verbindung mit Oesterreich, seinen Anfang. Früh mußte man bemerken, daß dieser, mit zu schwachen Mitteln gewagte Kriegeszug gegen alle Regeln der Kunst geführt wurde, und daß wir gegen den Geist kämpften, der durch Aufhebung des Feudalismus, der Welt eine andere Gestalt geben mußte. Wegen einiger wenigen glücklichen Gefechte, und wegen der Uebergabe zweier Festungen stolz und übermüthig, drangen wir ohne alle Vorsicht in die Champagne ein, staunten, als wir bei Vallmy einigen Widerstand fanden, ließen den glücklichen Augenblick, die Feinde zu schlagen, unbenutzt verstreichen, und der Zug eines an Talenten mittelmäßigen Generals von Landau nach Maynz, warf uns über die Maaß, über die Mosel und über den Rhein zurück.

 Ich übergehe die Ereignisse des Jahres 1793 mit Stillschweigen, verweile aber beim Jahre 1794; denn die Versäumnisse dieses Jahres haben das Unglück vorbereitet, unter welchem jetzt Preußen seufzt. Man erinnert sich, daß die französischen Truppen in der zweiten Hälfte dieses, preußischer Seits ziemlich thatenlos geführten Feldzuges, am 7ten August die österreichischen Truppen nöthigten, die Stellung unweit Pellingen bei Trier, und diese Stadt selbst, zu verlassen.
Einiges Nachdenken zeigte, daß die Festsetzung der französischen Armee an der Mosel der erste Schritt zu einer Unternehmung sei, welche auf die Lage aller am Rhein und an der Maaß befindlichen Armeen einem entscheidenden Einfluß haben müsse. Schon damals sah man deutlich, daß die französischen Machthaber nichts Geringeres im Schilde führten, als die Eroberung Hollands.

 Diese Ueberzeugung veranlaßte mich, dem kommandirenden Feldherrn der preußischen Armee, in der ersten Hälfte des Monats August, einen Entwurf vorzulegen, dessen Tendenz die Wiedereroberung der Mosel, der Saar und der Maaß, d. h. die Wiedereroberung Belgiens, war. Die österreichische Armee unter Clairfait schien auf die von den feindlichen Truppen eingeschlossenen Festungen Condé, Valenciennes und Lequesnoy bereits Verzicht leisten, hinter den Mauern von Mastricht auf dem rechten Ufer der Maaß Schutz und Sicherheit suchen, mithin nicht nur die österreichischen Niederlande, sondern selbst Holland Preis geben zu wollen. Die Gefahr, welche daraus für Preußen entstehen mußte, war zu groß und zu einleuchtend, als daß selbst ein Privatmann dabei hätte ruhig seyn können. Alle meine Lebensgeister waren aufgeweckt; und ich hielt es für meine Pflicht, auf diejenige Politik hinzuweisen, welche seit zwei Jahrhunderten mit so glücklichem Erfolge für Deutschlands Ruhe und Flor beobachtet worden war, auf die Politik, welche die größten Köpfe des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts beschäftigt hatte, nämlich: nicht zu dulden, daß Belgien und Holland eine Beute Frankreichs würden. Um dieses zu verhindern, war meine Idee: den Feind müsse man aus den Gegenden von Trier vertreiben; wenn dieses geschehen, eine Armee von 25- bis 30000 Mann bei Luxemburg versammeln, und mit derselben zu eben der Zeit nach Longwy vordringen, zu welcher die in den Niederlanden befindlichen Armeen auf beiden Ufern der Maaß heraufgehen, und die oben erwahnten Festungen entsetzen müßten. Sobald die preußische Armee durch die Wiedereroberung der Mosel dazu beigetragen haben würde, den Oesterreichern Belgien wieder zu geben, sollte sich unsere Armee nach den westphälischen Provinzen in Marsch setzen und eine Stellung bei Crefeld hinter der fossa eugeniana beziehen. Wurde diese Bewegung so eingeleitet, daß eine oder zwei Kolonnen auf dem linken Rheinufer marschirten; so konnten alle unsere am Mayn befindliche Vorräthe auf dem Rheine herunter geschafft werden. Wir hatten die Festung Wesel im Rücken, und unsere Stellung bei Crefeld gehörte zu der Zahl derjenigen Positionen, von welchen König Friedrich II. behauptet, daß sie ganze Provinzen decken. In der That sicherten wir durch sie Westphalen und Holland, und befanden uns in einer Lage, einen Frieden unterhandeln zu können, der größere Vortheile versprach, als wir von dem Frieden zu Basel je erwarten durften. Unsere Stellung bei Crefeld entsprach den Grundsätzen einer ächten Strategie und einer ächten Politik; sie war der Würde eines mächtigen Staates angemessen; sie zeigte der Welt, welchen Werth wir auf die Verbindung mit der Republik der vereinigten Provinzen legten.

 In Mastricht, glaubte ich, müsse der Weltfrieden im Jahr 1795 geschlossen werden, wie er zu Aachen im Jahr 1748 geschlossen worden war; ich konnte nicht an das in einem Winkel der Erde liegende Basel denken; und als ich es nennen hörte, sprach ich von einem Winkel-Frieden, der uns mit Schande überhäufen und Ketten schmieden würde. Diejenigen, welche diesen Friedensfaden angesponnen, haben den Faden des Todes gesponnen.

 Dieser in Pfedersheim, in der ersten Hälfte des August bearbeitete Operationsplan für die zweite Hälfte des Feldzuges 1794, hatte keine weitern Folgen, als die erst am 20sten September ausgeführte Unternehmung auf Kaiserslautern, die zwar mit einem glücklichen Erfolge gekrönt wurde, aber auf das Schicksal Preußens, Deutschlands, Hollands und Belgiens keinen Einfluß hatte, weil sie keinen Einfluß haben sollte. Sie war die erste Scene eines aus mehrern Acten bestehenden Schauspiels; kaum war diese Scene gespielt, so ließ man den Vorhang auf immer wieder fallen, weil man wünschte, daß selbst diese Scene nicht gespielt worden wäre.

 Die Feinde des Erbprinzen zu Hohenlohe gaben sich alle Mühe, die in der Gegend bei Kaiserslautern vorgefallenen Gefechte, welche uns den Weg nach der Mosel, welche uns die Bahn zur Wiedereroberung Triers öffneten, welche uns zum Meister der Gegenden zwischen der Saar und Mosel machten, welche dem Feinde die Schlüssel Luxemburgs aus den Händen wanden, - alle ihre Beredtsamkeit strengen die Feinde dieses Fürsten an, diese Gefechte als Plänkeleien (dies war der geistvolle Ausdruck, dessen sich selbst der erste Adjutant des Feldmarschalls Möllendorf, der Friedensobriste Meyerinck, bediente), als isolirte, mit keinem großen Entwurfe in Verbindung stehende Ereignisse, als militärische Schauspiele darzustellen, die ihre Veranlassung nur der Eitelkeit des Feldherrn, nicht dem Geiste einer ächten Politik und Strategie, der den Feldherrn beseelte, zu danken haben sollten. - Mit frostiger Verachtung sah man auf Gefechte herab, welche die ersten Schritte zur Wiedereroberung der österreichischen Niederlande hätten seyn können, und Holland gerettet haben würden. - Der unparteiische Zeitgenosse wird nun, nach diesen Aufschlüssen, diese Gefechte beurtheilen, und die Nachwelt wird die Ursachen erfahren, warum dieses Drama nicht vollstandig aufgeführt werden sollte.

  Einsichtsvolle Zeitgenossen werden sich überzeugen, daß wir, weil wir unthätig an der Nahe stehen blieben, den Verlust Belgiens und Hollands veranlaßt haben.
Als der Riese noch in der Wiege erstickt werden konnte, pflegten wir seiner; als der Riese alle seine Kraft erlangt hatte, als sein rechter Fuß an den Ufern der Donau, sein linker an dem Ufer der Yssel stand, und er uns in seinen Armen erdrücken konnte: - da erst ergriffen wir wieder Schleuder und Schwerdt! Viele derjenigen, die in den Jahren 1794 und 1795 zum Frieden ihre Stimmen gaben, erhoben sie jetzt (1805; 1806) zum Kriege! Als die Polyarchie in Frankreich herrschte, und die Einheit von uns noch nicht ganz entwichen war, glaubten wir Frankreich nicht bezwingen zu können. Nachdem aber an den Ufern der Seine die mächtige Einheit das Schwerdt und das Scepter ergriffen hatte, und an der Themse, an der Newa, an der Oder, an der Donau, die vollendetste Polyarchie thronte: - da ward Alles so geleitet, daß wir allein gegen Frankreich auftreten mußten.

 Von meinen Bemühungen, den Abmarsch der Armee nach Westphalen zu beschleunigen, und dadurch vielleicht noch den Verlust Hollands zu verhindern, will ich nicht ausführlich sprechen; aber an den im Januar 1795 bearbeiteten Operationsplan, an die am 24sten Januar und auch späterhin geäußerten Worte darf ich erinnern: »In diesen hochwichtigen Momenten wird es entschieden, ob der Königssohn, der noch in der Wiege liegt, oder den die Königstochter unter ihrem Herzen trägt; sein väterliches Erbe behalten, einst die Stunde seiner Geburt segnen, oder am Bettelstabe ein trauriges Leben verleben soll. - Dies Schicksal, ich spreche vielleicht im prophetischen Geiste, dieses Schicksal drohet dem Sohne des Bürgers, wie dem Sohne des Königes. Noch ist es Zeit, Frankreich in seine alten Grenzen zurückzuweisen, und ihm Holland und Belgien wieder zu entreißen. Bald ist es nicht mehr Zeit.«
Und ferner: »Diese Zeit, ich schreibe Ende Januar 1795, ist die Mutter großer Ereignisse. Europa nimmt eine andere Gestalt an, ergreifen wir nicht sehr kraftvolle Maaßregeln.« Und endlich: »Will man das nicht, was unserm und Deutschlands Interesse entspricht; so erinnere man sich einst dessen, was heute am 24sten Januar 1795 - am Geburtstage Friedrichs II. niedergeschrieben worden ist.« - Auf alle diese Aeußerungen will, kann, darf und muß ich mich hier berufen.

 Damals war der Krieg nützlich, nothwendig, möglich. - Eine gesunde Vernunft mußte die Fortsetzung des Krieges damals wünschen. - Sobald Holland fiel, war es um die Unabhängigkeit Deutschlands geschehen. Der Rheinstrom war nicht mehr die germanische Grenze. Selbst ein Herzog Ferdinand hätte nun keinen Vertheidigungskrieg mehr an der Weser führen können. Es war geschehen um Deutschland, und Wir, wir hatten es Preis gegeben. In fernen Jahrhunderten werden die Söhne Teutoniens den Schatten Borussiens anklagen, die Freiheit Teutoniens dahin gegeben zu haben, um eine kurze Zeit über einen Theil Sarmatiens zu herrschen.

 Der Verlust Hollands zog die Nothwendigkeit herbei, den Baseler Frieden zu unterzeichnen.

 Maynz mußte bald durch die Macht der Waffen, oder durch die Kunst der Unterhandlungen fallen. Die französische Diplomatik eroberte diese letzte Schutzwehr Deutsohlands. Auf die Eroberung der österreichschen Niederlande, Hollands und der Rheingrenze mußte nothwendig die Eroberung der Lombardei und des ganzen Italiens folgen. Wer die Geschichte der Kriege Ludwigs XIV. studirt, konnte den Eintritt dieser Ereignisse mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten. Die Schwierigkeiten, welche die Feldherren dieses Königs in allen seinen großen Entwürfen zu bekämpfen hatten, rührten daher, daß er seine Macht auf zwei sehr entfernten Kriegsbühnen vertheilen, oder mit andern Worten, daher, weil er zu Einer und eben der Zeit den Krieg an der Maas und Sambre, und am Po und an der Adda führen mußte. Diese Schwierigkeiten waren für die Feldherren des neuen Frankreichs verschwunden. Die linke Flanke ihres großen Kriegstheaters wurde jetzt durch Belgien, Holland und durch den Rhein gedeckt. Ohne Gefahr konnte zur Eroberung Italiens geschritten werden. Die Macht Oesterreichs beruhete jetzt noch auf dem Besitze Mantuas und Tyrols. Mantua fiel, und Oesterreich war in seiner linken Flanke umgangen; Tyrol konnte ihm entrissen werden, und dann schrieb Frankreich dem Monarchen Oesterreichs in seiner Hauptstadt Gesetze vor.

 Unläugbar ist es, daß Preußen durch die Fehler, welche im Feldzuge 1792 begangen, durch die Laulichkeit, mit welcher die Feldzüge 1793 und 1794 geführt worden, durch die falsche Politik, welche den Verlust der österreichischen Niederlande und Hollands verhindern konnte, und die Theilung Pohlens beförderte: unläugbar ist es, daß Preußen durch diese fehlerhafte Maaßnehmungen, den französischen Koloß an den Rhein, und den russischen Koloß an die Weichsel vorgezogen hat.

 Preußen trägt die unvertilgbare Schuld, am meisten dazu beigetragen zu haben, daß das Gleichgewicht Europens (le systeme de contre-poids) zerstört worden ist. Preußen konnte das Hypomochlion dieser Gegengewichte seyn. Wir werden sehen, daß es die Ehre, der Hort der Völker des europäischen Kontinents zu werden, schnöde von sich wies.

 Diese in den Jahren 1794 bis 1800 u.s.w. theils schon eingetroffenen, theils mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Ereignisse, mußten auf jeden denkenden Menschen einen tiefen Eindruck machen. Die in Pohlen vorgefallenen Veränderungen mußte man vorzüglich ins Auge fassen. Preußen befand sich, nach dem Falle Oesterreichs, nicht mehr zwischen drei großen Mächten, sondern zwischen zwei Kolossen eingeengt. Preußen hatte weder im Osten, noch im Westen Sohutzwehren, auf welche es sich verlassen konnte.

 Preußen glich dem Dreimaster, der auf einem stürmischen Meere, zwischen einer freundlichen Küste und einem klippenvollen Gestade wogt. Der Dreimaster mußte scheitern, entfernte er sich von jener und näherte er sich diesem. Von der einladenden Küste und dem kalten Gestade gleich weit entfernt zu bleiben, die Mittelstraße zu halten, gehörte unter die unmöglichen Dinge.

 Unmittelbar nach dem Baseler Frieden, und nach den Erwerbungen an der Weichsel, mußte Preußen ein neues politisches System befolgen. Preußen mußte das neue Verhältniß, in welchem es gegen die Welt stand, scharf ins Auge fassen; und seine ersten Staatsmänner mußten sich selbst die Frage vorlegen: was sind wir? - was wollen wir?

 Die Untersuchung, auf welche Seite sich Preußen neigen müsse, um seinem politischen Daseyn Dauer zu verschaffen, hatte einen großen Reiz für mich.
Von der steigenden Macht Preußens hing die Wohlfahrt des nördlichen Europas ab. Also, auf welche Seite sollte sich Preußen neigen, welches politische System sollte es befolgen, nachdem nun einmal der Friede zu Basel unterzeichnet worden war? Ich warf meine Blicke auf alle uns umgebenden Staaten, und betrachtete zuerst Rußland.

 Rußland steht in engen Handlungsverbindungen mit England. Die britischen Fabrikate finden einen großen Markt in Rußland. Rußlands roher Waaren bedarf England. Kaiser Paul unterstützte die Unternehmungen der Engländer auf Holland mit einem nicht unbeträchtlichen Corps Truppen; die Unternehmungen der Oesterreicher in Italien mit einer ganzen Armee unter den Befehlen des berühmtesten seiner Feldherren.

 Zwar löseten sich diese Verbindungen, als eine feine Politik Pauls Eitelkeit auf Malta, und diesen von Launen beherrschten Monarchen in das französische Interesse zog; aber eine fürchterliche Katastrophe, würdig der Greuelthaten der Prätorianer des alten Roms und der Schauderscenen des neuen Byzanz, stürzte diesen Monarchen von seinem Kaiserstuhl in eben die Gruft, in welcher sein Vater ruhte, und auf dem, von dem Blute zweier Kaiser rauchenden Throne, befestigte sich aufs neue das brittische Handlungsinteresse.

 Mit Vergnügen sah Britanniens Uebermuth auf diese Scene des Mordes und auf die Flammen, die Nelson an den friedlichen Ufern des Sundes entzündet hatte. Die nordische Allianz konnte den Weltfrieden herbeiführen. Britannien will keinen Weltfrieden. England ist Frankreichs unversöhnlicher Feind, oder vielmehr, England hat Frankreich, hat der Welt den Untergang geschworen, weil England den Handel der Welt ungetheilt in seiner Gewalt behalten will.

 Britanniens Absicht, alle Manufakturen des Kontinents zu zerstören, allein der Manufakturstaat Europas, so wie der Stapelplatz aller Kolonialwaaren zu seyn, untergräbt die Grundpfeiler der politischen Oekonomie aller Staaten. Denn, Zerstörung der Manufakturen streift dem Ackerbau die Blüthe ab, erstickt den Zuwachs der Bevölkerung im ersten Lebenskeim, und giebt das lebende Geschlecht dem Hungertode Preis. (Herv. DH)

 Britannien ist also der Feind Preußens. Rußland verbindet die Düna mit der Memel, die Memel mit dem Bug, den Bug mit dem Dnieper, das schwarze Meer mit dem baltischen; Rußland strebt nach dem Besitze der Ausmündungen der Memel und der Weichsel.

 Kopenhagen fürchtet Petersburg, und zittert vor London. Auf Schweden ruht die Last des eisernen Arms eines Nachbars, der im Besitze der kornreichen Provinzen ist, auf welchen einst Schwedens Macht beruhete.

 Im Angesicht des Großherrn weht die russische Flagge, und im adriatischen Meere bildet sich ein russisches Gibraltar.
Rußland drückt mit einer ungeheuern Macht auf das westliche Europa, und tatarische Stämme bedrohen unsere Gefilde mit Ueberströmungen, denjenigen ähnlich, welche die Römerwelt vernichteten.

 »Wollen wir einen recht auffallenden Beweis von den Gesinnungen haben, die Rußland gegen uns hegt, so bedürfen wir uns nur der Ereignisse des Feldzuges 1794 in Pohlen erinnern, und einen Blick auf die Grenzen werfen, die uns Rußland zugestanden hat. Nachdem wir erschöpft die sogenannte Belagerung von Warschau aufheben müssen, erscheint erst die russische Armee unter Suwarow, und führt allein aus, was wir vereinigt hätten ausführen sollen. Und nun betrachte man die Grenze von Nimirow nach Warschau, und die Grenze im Krakauischen! Wahrlich, Rußland hat nicht die Absicht, uns in diesen Gegenden zu Kräften kommen zu lassen! Welche Sprache führen seine Feldherren? Praga raucht und geht in Flammen auf, und Warschau zittert! So schreibt Suwarow an den König Friedrich Wilhelm II. Mit welchem Trotz spricht Repnin in Grodno? und mit welcher Zweideutigkeit Lascy in Krakau? Wie Pompilius zeichnen sie die engen Kreise, aus welchen wir nicht heraustreten dürfen! -«

 Man sei billig genug, sich diese in den Jahren 1795 und 1796 gesprochenen Worte zu erinnern! Rußland ist als Feind und als Freund in zu großer Nähe; verbunden mit England - und diese Verbindung ist so lange von Dauer, so lange Rußland brittischen Goldes und brittischer Waaren bedarf - verbunden mit England wird Rußland in alle Handlungskriege Englands und Frankreichs verwickelt. Um dieser letzten Macht eine Diversion zu machen, muß Rußland dahin streben, auch Preußen in diesen Strudel des Krieges hineinzuziehen, oder den Durchmarsch durch unsere Staaten mit Gewalt zu erzwingen.

 Eine Macht, welche uns zum Kriege gegen eine dritte Macht durch solche Drohungen zwingen kann, ist eine feindselige Macht.

 Ich fürchtete von je her Rußlands Unterjochungsgeist. Dieser Geist gleicht einem Strome, der von den Iwanen ausgeht, und nun keine Ufer mehr kennt. Kein halbes Jahrhundert vergeht, und die Russen belagern Straßburg und Maynz, setzt ihnen Napoleon nicht einen Damm entgegen! Das ist immer die Tendenz des Nordländers, daß er den Südländer bezwingen und zu seinem Sklaven machen will! Ich fürchte noch immer diese Tendenz. Rußlands Bewohner haben in ihrem Streben nach Kultur eine weit stärkere Tendenz nach dem Süden von Europa, als Frankreichs Bewohner nach dem Norden dieses Welttheils.

 Mich schaudert es vor dem Despotismus Rußlands; ich fürchte nicht Frankreichs Universalmonarchie. Diese kann nur in dem leitenden Geiste eines mit Weisheit organisirten Staatenvereins bestehen. Schließen wir uns an Frankreich an, so verbinden wir uns mit einem aufgeklärten Volke.

 Rußland ist also so gut wie Britannien eine für Preußen feindliche Macht.

 Auf das Gemüth des russischen Monarchen kann keine Rücksicht genommen werden. Entweder ist das Gemüth Schwäche, und dann ist es keine Stütze; oder es nimmt alle Gestalten an und trägt alle Farben, und dann ist das Vertrauen gefahrvoll. - Man muß den Kaiser Alexander als Staatschef betrachten, und als solcher ist er nicht Preußens Freund.

 Diese Betrachtungen über die Gefahr, welche über Preußen schwebte, wenn es sich mit Rußland gegen Frankreich vereinigte, hatten mich zu der Ueberzeugung geführt, der König habe im Jahr 1799 nach einer vollkommen richtigen Ansicht gehandelt; Er habe Recht gehabt, neutral zu bleiben, und nicht dazu beigetragen zu haben, daß Frankreich in den Abgrund gestoßen werde, an dessen Rande es damals schwebte; wenn die Armeen der Koalition das Juragebirge überschreiten sollten, müsse der König sich der Koalition entgegenwerfen und Frankreich retten.