Historische Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Verfalls des preußischen Staats seit dem Jahre 1794 - Teil II von Christian von Massenbach
Preußens Neutralität, der Generalquartiermeisterstab und die Staatsintelligenz Ich komme nun auf die Form, welche nach den Ereignissen des Jahres 1794, und in Folge unsers Friedens zu Basel, dem nördlichen Deutschland hätte gegeben werden können, auf die neue Konstitution, welche Deutschland erhalten mußte, auf das große Föderativsystem, welches Preußen zu seiner eigenen
Sicherheit und Erhaltung, und zur Sicherheit und Erhaltung Deutschlands erschaffen mußte. Ich darf mich auf drei Denkschriften beziehen, welche in den Jahren 1800 und 1801 bearbeitet und dem Könige vorgelegt worden sind. Die erste dieser Denkschriften, die: Wie können Deutschland und Preußen gerettet werden, hat einen berühmten Staatsmann zum Verfasser. Ich nenne seinen Namen nicht; aber die
Nachwelt wird den edeln und einsichtsvollen Mann den entfernten Enkeln nennen, damit sie es erfahren, daß es deutsche Männer gab, welche den Untergang Deutschlands Jahre vorher sahen, und alles thaten, was in ihrer Kraft stand, diesen Untergang zu verhüten. Die beiden andern Denkschriften, auf welche ich mich beziehe, sind die Frucht meiner Bemühungen, die Gefahr zu schildern, welche seit dem Jahr 1795 und seit noch früherer Zeit über
Preußen schwebte, und die Mittel anzugeben, vermittelst welcher, wie ich glaubte, diese Gefahr abgewendet werden könne. Die erste dieser Denkschriften hat den Titel: Einige Bemerkungen über die jetzige (Januar 1801) allgemeine Angelegenheiten, besonders in militärischer Rücksicht, und in Bezug auf die militärische Grenze der preußischen Monarchie. die zweite: Über die wahre Vergrößerung der preußischen Monarchie, mit dem Motto: »Die Kühnheit macht den Soldaten! Vermöcht' er keck zu handeln, bedürft' er nicht keck reden auch. - Bei den Unterhandlungen, welche die Entschädigungsangelegenheiten veranlaßt hatten, war die Gelegenheit versäumt worden, unsere Besitzungen am Rhein gegen Besitzungen umzutauschen, welche uns von aller
Angrenzung mit Frankreich losgesagt haben würden. Eine aufgeklärte Politik und eine auf richtigen Berechnungen beruhende Strategie mußten Wesel zu einer Festung erklären, deren Werke schon im Jahr 1801 zu demoliren waren. Auch ist diese Entwaffnung von Mehrern in Vorschlag gebracht worden. Nach dem Verlust Hollands, der Rheingrenze und der Budricher Insel hatte Wesel, als Festung, keinen Werth; aber die Diplomatik hat dieser Wahrheit nie Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen. Also man konnte sich von der französischen Grenze zurückziehen, und, indem man an der Ems, wenigstens an der Weser, stehen blieb, und dafür an der Ostsee und zwischen der Elbe und Oder Entschädigungen nahm, seinen Besitzungen eine bessere Abrundung geben. Getrennt von Frankreich wurde unser Verhältniß mit dieser Macht reiner, das gegenseitige Interesse fester. Frankreich mußte daran liegen, eine große selbständige Macht zwischen
sich und Rußland zu organisiren. Liegt England, und also auch Rußland daran, unsern Ackerbau zu vernichten, unsere Manufakturen zu unterdrücken, unserer Bevölkerung zu schaden; so hatte Frankreich ein Interesse, das Blühen aller dieser Zweige unsers Nationalwohlstandes zu befördern, und selbst dazu beizutragen, daß unsere Macht an Ausdehnung oder Erweiterung der Grenzen, an Subsistenzbasis, an innerer Gediegenheit zunahm.
Sollte die ungeheure, die Kräfte des Staats im Frieden aufzehrende Armee auf dieser Zahlgröße stehen bleiben; so mußte die Masse der Bevölkerung vermehrt werden. Diese Vermehrung konnten wir nur durch Eroberungen bewirken, welche auf Kosten Rußlands und Oesterreichs gemacht werden mußten. Wenigstens bis an die Ober-Weichsel mußten wir unser Gebiet ausdehnen, und Oesterreich mußte herausgeben, was es nie in seine Gewalt hätte bekommen müssen: das in so
vielen Hinsichten wichtige Krakau und Sendomir, überhaupt das ganze Land zwischen der Pilica und Weichsel. »Unsere Armee ruht in dem Schooße eines langen Friedens; der bayerische Erbfolgekrieg, und die so ziemlich thatenlosen Feldzüge am Rhein haben keine Feldherren gebildet. Napoleons Feldzüge kennen wir nur aus Zeitungsberichten. Den Geist, der darin webt, wollen wir uns nicht eigen machen. Der gewaltige,
der blutdürstende Geist des Bürgerkrieges hat Frankreichs Heeren einen großen Schwung ertheilt. Wir stehen diesem Heere an Güte der Organisation und an Uebung im Kriege nach. Gegen dieses Heer wird es schwer seyn, zu kämpfen. Mit ihm vereinigt, werden wir werden, was unsere Väter im siebenjährigen Kriege waren. Stehen unsere Feldherren Frankreichs Feldherren nach; das Gleichgewicht halten sie mit den russischen Generaelen! - So dachten, so sprachen Viele
unter uns! Ferner: In einem Kriege gegen Frankreich hat unser Kriegstheater die Breite von der Nordsee bis an die Donau. In einem Kriege gegen Rußland hat unser Kriegstheater, bei Oesterreichs höchst wahrscheinlicher Neutralität, die Breite vom Pregel bis an den Bug. In einem Kriege gegen Frankreich setzen wir uns der Gefahr aus, schon im ersten Feldzuge unsere Hauptstadt zu verlieren. Mit dem Verluste der Hauptstadt sinkt aber unser ganzes Kreditsystem zu Boden; alle Staatspapiere
verlieren ihren Werth.« Endlich war Vieler Meinung und auch die meinige: »Die französischen Heere sind in allen Arten des Krieges, also auch im Belagerungskriege wohl geübt; unsere Vesten an der Elbe und Oder werden ihnen wenig Widerstand leisten. Die Russen verstehen den Belagerungskrieg nicht. Tiefe Graben und Erdwälle sind ihnen Kandia und Gibraltar. Gegen Frankreich finden wir keine Alliirte, als die Flotten Englands, die zur Vertheidigung der Elbe nichts beitragen; keinen Alliirten, als
den König von Schweden, der bei allem Trotz seines Charakters weder Gustav Adolph, weder Karl Gustav, noch Karl XII. ist; keinen Alliirten, als das entfernte, seine Blicke nur nach dem schwarzen Meer richtende, Geldentblößte und von einem entgegengesetzten Interesse geleitete Rußland.« Diese Vergleichungen sind seit dem Jahre 1797 von mir und Andern angestellt worden. Dieses stille, ruhige und anhaltende
Nachdenken über höchst wichtige Gegenstände hat in mir die lebhafteste Ueberzeugung hervorgebracht: Preußens Interesse fordere eine enge Verbindung mit Frankreich; - und diese Ueberzeugung loderte in einer hellen Flamme auf, von dem Augenblick, da die Einheit des Beschlusses und Entschlusses in Frankreich wieder das Staatsruder führte. Wer seinen König liebte, durfte, nach meiner Ansieht, nicht aufhören, diese Resultate seines Nachdenkens an die Stufen des Thrones niederzulegen.
Napoleon, ein Monarch, dessen Entwürfe ich nicht tadeln kann, weil ich sie nicht kenne, und dessen wahre Größe die Nachwelt beurtheilen wird, weil erst sie den Umfang seiner Schöpfung zu übersehen und ihre Gediegenheit zu prüfen im Stande ist; Napoleon hat die Nothwendigkeit gefühlt, sich Preußen zu nähern. Er that Schritte, welche beweisen, daß er sich dem Könige, der jetzt den Thron Friedrichs II. einnahm, persönlich nähern wollte.
Das Bild des großen Königs befand sich in Napoleons Wohnzimmer. Napoleon erbat sich den Orden, der Friedrichs Brust geschmückt hatte: Er trug ihn mehrere Tage selbst da, wo er die eiserne Krone sich auf das Haupt setzte. Er sprach mit achtungsvoller Wärme von dem Könige und der Königin. Sein Gemüth und seine Intelligenz schienen ihn für Preußens Interesse zu beleben. Wichtig mußte ihm eine Macht seyn, die sich Rußland entgegenstämmen, und Oesterreich in der rechten
Flanke bedrohen konnte. In diesem Verhältniß stand Preußen gegen Frankreich. Hat die Persönlichkeit dieses Verhältniß vernichtet? habe ich mich in der Beurtheilung dieses Gemüths geirrt? oder was für Ereignisse haben diese Wärme in Kälte, diese Freundschaft in tödtlichen Haß verwandelt? Keinen Anstand nehme ich, öffentlich das Geständniß abzulegen: die Beweise einer täglich fester werdenden Verbindung zwischen Preußen und Frankreich entsprachen
meinen Wünschen. Nur durch diese Verbindung könne der Ruhm meines Königs befördert, und das Wohl meines zweiten Vaterlandes befestigt, werden, glaubte ich; mit dem mächtigen Manne der Seine vereint, müßten wir nach Größe streben; gegen ihn kämpfen - das sei gefahrvoll! In dem Bunde mit ihm gestalte sich die Welt so, daß ein schöner Tag für Preußen aufgehen könne; in dem Bunde gegen ihn - Nacht, Verderben, Elend, Untergang!
In diesen Ueberzeugungen geschah es, daß ich nicht aufgehört habe, die Nothwendigkeit neuer Festungen in Süd- und Ostpreußen, in mehrern Denkschriften vorzustellen. Die vorgeschlagenen Punkte, auf welchen Festungen erbaut werden sollten, waren: 1. bei Tapiau, ein Fort; 2. bei Wehlau oder bei Ortelsburg, eine große Centralfestung; 3. Thorn, als Brückenkopf; 4. Sierock, zur Beherrschung der Vereinigung des Bugs und der Narew;
5. bei Modelin, zur Beherrschung der Vereinigung der Narew und der Weichsel; 6. bei Praga, Warschau gegenüber; 7. bei Stronske, an der Warthe. Es ist hier nicht der Ort, die strategischen Beziehungen dieser Festungen auseinander zu setzen. Ich bemerke nur, daß auch Defensivstellungen zwischen dem Pregel, den Seen und der Narew, und zwischen dem frischen Haf, an der Paßarge herauf und der Narew, rekognoscirt worden sind, oder doch hätten
rekognoscirt werden sollen. Da es bekannt war, welchen großen Werth der König auf die Meinung des Herzogs von Braunschweig legte; so überreichte ich alle Denkschriften, welche ich über diesen Gegenstand dem Könige vorlegte, auch dem Herzoge von Braunschweig; und da es auf Beurtheilung des Lokale ankam, so machte ich es mir zur Pflicht, den Herzog zu veranlassen, eine Reise zu unternehmen,
die Orte selbst zu sehen, wo die Erbauung der Festungen vorgeschlagen worden war. Im Jahr 1801 war ich in Braunschweig, und hatte mit dem Herzoge über diesen Gegenstand eine merkwürdige Unterredung, die ich, meiner Gewohnheit zu Folge, wenige Stunden nachher zu Papiere brachte, eine Unterredung, mit welcher erst die Nachwelt vollständig bekannt gemacht werden kann. Nie hatte der Herzog mit größerer Weisheit gesprochen,
und nie war er mit einem hellem Blicke in die Zukunft gedrungen. Zu dieser Stunde hatte der Herzog eben die Ansichten von der politischen Lage Preußens, die auch ich hatte. Zu dieser Stunde war der Herzog entschlossen, diese Reise noch im Herbst des Jahres 1801 zu unternehmen. Die Verabredungen aber, welche wegen der Vermählung seines Sohnes getroffen wurden, verhinderten ihn, diesen Entschluß auszuführen. Um ihn nicht erkalten zu lassen, unterließ ich nicht,
den Herzog mit allen denjenigen Memoiren zu versehen, deren Lectüre ihn mit dem ostpreußischen Kriegstheater bekannt machen konnte: dahin gehörte besonders die von Friedrich II. aufgesetzten sogenannten Instruktionen; und während des ganzen Winters lag ich dem Herzoge an, die beschlossene Reise im Frühjahr 1802 anzutreten. Der Herzog von Braunschweig war unstreitig der Mann, dessen Talente und Einsichten dieses Problem, wie nämlich unsere
neuen Grenzen befestigt werden müßten, lösen, der Mann, dem sich der König in dieser wichtigen Angelegenheit ganz anvertrauen konnte. Aber das Befestigungssystem in Ost- und Südpreußen stand mit unserer Politik in der genauesten Verbindung. Sollte der Herzog in Hinsicht auf das Befestigungssystem einen Entschluß fassen, so mußte er vorher in Hinsicht auf die Politik Preußens einen Entschluß gefaßt haben.
Ueber diesen Gegenstand habe ich mit diesem einsichtsvollen Herrn in Braunschweig im Monat Februar 1795, dann in den Jahren 1797, 1798, 1799, 1801, und besonders im Frühjahr 1802 auf der Reise von Lenczyc über Warschau u.s.w. nach Memel, manche Unterredungen gehabt, in welchen ich meine Ansichten von der politischen Lage der Welt mit Freimüthigkeit hinstellte, der Herzog sie bald mißbilligte, bald auch, und selbst öfters, zu billigen schien.
Unvergeßlich werden mir die Stunden seyn, die ich mit dem Herzoge im Schlosse zu Warschau und in Eldingen zugebracht habe. Eben so merkwürdig die Worte, die der Herzog sprach, als er, auf dem Balkon des Warschauer Schlosses stehend, seine Blicke über die Weichsel hinschweifen ließ. Im prophetischen Geiste waren diese gehaltvollen Worte gesprochen. In dieser Stunde war es, wo der Herzog von der Nothwendigkeit einer festen Verbindung Preußens und
Frankreichs, wie das Jahr zuvor in Braunschweig, mit Ueberzeugung sprach. Ich habe den Herzog oft an diese Stunden erinnert; oft ihm gesagt: »Das, was jetzt versäumt wird, setzt die Nachwelt auf Ew. D. Rechnung. Der König vertraut sich Ihnen. Sie sind der einzige Mann, der des Königs Entschluß bestimmen kann. Wir alle sind unerfahrene Subalternen, auf welche der König kein Vertrauen setzt. Ich kann das dem Könige nicht verargen. -
Aber über Ew. D. wird einst ein schweres Gericht ergeben, wenn Sie nicht mit dem größten Nachdruck sprechen. Ew. D. kennen meinen Beobachtungsgeist. So oft ich den König auf Ew. D. zugehen sahe; also oft erblicke ich in der Physiognomie des Königs den Ausdruck des Gemüthes eines Sohnes, der sich seinem Vater nahet. Ertheilen Sie dem Könige Ihren väterlichen Rath. Seyn Sie der Hort und Schutz des Königes. - Verschließen Sie sich nicht gegen ihn. - Beurtheile ich den König richtig, so ist
ihm ein Händedruck von Ew. D. lieber, als alle tiefe Verbeugungen.« Vier volle Jahre waren also verflossen, ehe es dahin gebracht werden konnte, daß der Herzog diese Reise unternahm; ehe es dahin gebracht werden konnte, daß geprüft ward, was vor vier vollen Jahren vorgeschlagen worden war. - Indessen es war mir gelungen, die Sache in Gang zu bringen, und ich war - glücklich. Mein Glück war nicht von Dauer. Nach vollendeter Reise sollte
entschieden werden, mit der Erbauung welcher Festungen denn der Anfang gemacht werden müsse? Uneingedenk aller Unterredungen in Lenczyc, in Warschau, in Tilsit, in Memel u.s.w. - uneingedenk aller Versicherungen: auch Er wäre von der Nothwendigkeit der Festungen in Ost- und Südpreußen überzeugt, wollte der Herzog diese Frage schlechterdings nicht entscheiden. Dem Könige, der dem Herzoge die Lösung dieses Problems aufgetragen, stellte der
Herzog diese Entscheidung anheim. Diese Handlungsweise des Herzogs, seine gegen mich in einer andern Angelegenheit gerichteten geheimen Aeußerungen in Braunschweig, in Hildesheim, selbst in Sanssouci, Aeußerungen, die für mich kein Geheimniß blieben, empörten mich; und aufgeregt, schrieb ich den Brief vom 19ten September, der des Herzogs Zorn entflammte. Diejenigen, welche meine Verhältnisse kennen, wissen, daß mir
der Herzog seit vielen Jahren gewogen gewesen ist: ich hatte ihn in einigen Gefechten begleitet; er hatte mir durch einen Zufall das Leben gerettet; ich hatte ihn lieb gewonnen; ich verehrte ihn mit treuem Herzen; ich bewunderte den ruhigen Muth des Mannes in großer Gefahr: nur konnte ich nicht begreifen, warum der Herzog den Muth nicht habe, seine Meinungen auszusprechen. Kam es darauf an, mit Freimüthigkeit zu sagen, was Er glaube, so fand ich den Herzog
kleinmüthig. Es kam mir immer vor, als fürchtete er sich vor dem Schatten seiner Oheime, als blendete ihn die Majestät, - sobald er in ihren Kreis trat. Diesen Kleinmuth wollte ich jetzt besiegen, es koste auch, was es wolle. Ich drang also, vielleicht mit zu großem Ungestüm, auf die Entscheidung des Herzogs. Dadurch verscherzte ich sein Wohlwollen, und verlor auf einige Zeit das Vertrauen, mit welchem er mich sonst behandelt hatte. Die Heftigkeit, mit
welcher ich bei dieser Gelegenheit zu Werke gegangen, zog mir selbst die Ungnade des Königs zu. Finster und mit strafendem Blicke ging der König im Herbste 1802 an mir vorüber; seine Blicke vermieden die meinigen. Das schmerzte mich! - Aber, nicht das Wohlwollen der Fürsten, die Wohlfahrt Preußens und die Wohlfahrt Deutschlands lag mir an dem Herzen; es that mir weh, meine guten Absichten verkannt zu sehen.
In meinem Streben ließ ich nicht nach. Ich that gar nicht, als ob mir der König ungnädig wäre, und der Herzog mir sein Wohlwollen entzogen hätte. Mit eben der Freimüthigkeit, mit welcher ich vor dieser Scene (im September 1802) gesprochen hatte, sprach ich auch nachher. Die Sache war zu wichtig. Von der Bekehrung des Herzogs hing der Beschluß des Königs ab, und von dem Beschlusse des Königs die Sicherheit seiner Monarchie.
Wurde der Kriegsschauplatz gegen Rußland nicht organisirt; setzten wir uns nicht in den Stand, gegen Rußland wenigstens den Defensivkrieg führen zu können: so konnte Napoleon nicht auf uns rechnen. Er mußte uns für einen zweideutigen Freund halten. Rüsteten wir uns gegen Rußland, so war Napoleons Freundschaft für uns entschieden. Sie erkaltete nie wieder. Bei dem Maaße unserer physischen und moralischen Krafte war
es, in Vereinigung mit Frankreich, und bei der Abhängigkeit, in welche Oesterreich nach dem Verlust der Lombardei gerathen war, möglich, Rußland nicht nur die Spitze zu bieten, sondern auch im Osten Eroberungen zu machen, die Preußen zur Erhaltung seiner politischen Existenz nothwendig waren. Die lebhafte Ueberzeugung von der Unumstößlichkeit dieser Wahrheiten war es; die mich bewog, mit einer Heftigkeit zu handeln, die, wie ich schon angeführt habe, den König
entrüstete, den Zorn des Herzogs entflammte, und allen meinen Freunden Besorgnisse gab, mein Schicksal werde eine nachtheilige Wendung nehmen. - Ich theilte diese Besorgnisse nicht. Es kam darauf an, die Charakterlosigkeit des Herzogs zu schildern; ich stellte sie in ihrer ganzen Blöße hin. Es kam darauf an, des Herzogs kleine Ansichten zu rectifiziren; es kam darauf an, den König und den Staat zu retten: nicht darauf, den Meinungen des Herzogs zu huldigen; nicht darauf, meine
Persönlichkeit zu retten. Der Oberste von Phull, damals mein Freund, arbeitete gemeinschaftlich mit mir daran, daß eine aus drei Generallieutenanten bestehende Kommission ernannt werden sollte, die Meinungen des Herzogs zu prüfen. Diese Kommission kam zu Stande; Tempelhof stand an ihrer Spitze! Die Wahrheit siegte; es wurde festgesetzt, daß mit der Erbauung einer Centralfestung zwischen der Oder und Weichsel der Anfang gemacht, und dann sofort zur Erbauung derjenigen
Festungen geschritten werden sollte, die wir oben genannt haben. Man ging mit Laulichkeit an das große Werk, oder vielmehr, man ging gar nicht daran; man hatte sieben kostbare Jahre versäumt, und die Schnelligkeit, mit welcher jetzt die Ereignisse auf einander folgten, machte die Ausführung jener Entwürfe unmöglich. Nach der Eroberung Ost- und Südpreußens waren wir nicht mit eben der Thätigkeit zur Befestigung dieser Provinz
geschritten, mit welcher Friedrich II. Hand an die Befestigung Schlesiens gelegt hatte. Nicht allein mit dem Befestigungssystem im Osten beschäftigte ich mich zu dieser Zeit. Meine Blicke ruheten lange auf der Befestigung der Weser und Elbe, und auf der militärischen Verbindung der Elbe und der Oder. Die Vereinigung des nördlichen Deutschlands mit Preußen, die Organisation eines großen, mächtigen Föderativstaates zwischen der Memel und dem Mayn, zog meine ganze
Aufmerksamkeit auf sich. Ich berufe mich auf die bereits oben angeführten Denkschriften. In diesen Spekulationen vertieft, fühlte ich mich glücklich; ich glaubte für das Wohl des Königs und des Staats zu arbeiten; den Militarstaat wünschte ich in seiner vollkommenen Organisation da stehen zu sehen; der Agrikultur-, Manufaktur- und Handlungsstaat würde sich zu gleicher Zeit gehoben haben. Als Freund der gemäßigten Monarchie hatte ich eine
große Neigung für das Repräsentativsystem. Darauf wollte ich das Kreditsystem bauen. Die Ideen von Adam Smith und Herrenschwand hatten mich mit magnetischer Kraft angezogen. Dem Erziehungswesen, von der Dorfschule bis in den Erziehungspallast des Monarchen, widmete ich manche Stunde des Nachdenkens. Wie glücklich war ich! In welchen süßen Träumen wiegte sich meine Phantasie! Ich wollte dem Könige, dem Staate, der Welt recht nützlich werden! - Rastlos arbeitete
ich an diesen Gegenständen! Den Trieb, etwas Gutes zu veranlassen, dazu beizutragen, daß selbst etwas Großes ausgeführt werden möchte, habe ich im Busen getragen. Wie glücklich war ich in diesem Streben! Meine Phantasie sah die herrlichen Früchte meiner Bemühungen aufkeimen, und weidete sich schon an ihrer Reife! Doch, oft weckte mich ein dumpfes Getöse, und eine bange Ahnung sagte mir, daß ich nicht immer glücklich seyn würde!
Zu eben dieser Zeit, nämlich im Jahr 1802, wurde die neue Organisation des Generalquartiermeisterstaabes in Vorschlag gebracht. Es ist hier nicht der Ort, die neue und alte Einrichtung zu vergleichen. Die Hauptidee war: durch den Generalquartiermeister und seine drei Lieutenants eine Comité militaire zu bilden; welche alle politisch-militärische Angelegenheiten, unter dem Vorsitze des Königs, bearbeiten sollte. Die Tendenz war: die höhere Aufmerksamkeit nach und
nach von dem Detail des kleinen Dienstes abzuziehen und sie auf den höhern Standpunkt zu leiten, auf welchem der Staatschef eigentlich stehen muß. In dem Centralpunkte der Staatsökonomie, der Politik und des Kriegswesens sollte der König stehen. In dieser Comité sollten sich diese großen Aeste der Staatsverwaltung vereinigen, und aus dieser Einheit sollten alle Beschlüsse ausgehen. In dieser Comité sollten die Operationsplane entworfen werden, an
welchen seit dem Tode Friedrichs II. der Herzog von Braunschweig mit Schüchternheit arbeitete, der Minister des auswärtigen Departements und der Generaladjutant nicht mit genialischen Ansichten arbeiten konnten. Aus dieser Comité militaire würde nach und nach für den König die Einheit, und für die ganze Staatsverwaltung eine heilsame Socialität hervorgetreten seyn, die Einseitigkeit der Kabinettsregierung aber ihr wohlverdientes Ende erreicht
haben. Man durchschaute diese Absicht, und die Sache kam nicht zu Stande. Der Herzog von Braunschweig hatte diesen Plan im Jahr 1801 gebilligt; er hatte mich in Braunschweig selbst dazu aufgefordert, die Sache zur Sprache zu bringen. Oeffentlich ließ er ihr auch ihren Schutz angedeihen. Aber, nach den Auftritten im August und September 1802 gab Er, - im Geheimen - Winke, welche die weit aussehende Tendenz - ahnen ließen. Nicht Worte, - Blicke sprachen seine Meinung aus.
Der Herzog war seit den heftigen Auftritten im Herbst 1802 nicht mehr, wie ehemals, mein gnädiger Herr. Vergebens näherte ich mich ihm in der demüthigen Stellung Sülly's, wenn er seinen Heinrich um Vergebung bat. -Der Herzog war nicht Heinrich; ich nicht Sülly. - In der Folge trat wieder ein besseres Verhältniß ein. Die parteilose Darstellung des Strebens gegen diese Einrichtung des Generalquartiermeisterstaabes ist ein wichtiger
Beitrag zur Kenntniß der Menschen und der Höfe: sie zeigt, wie Könige, die das Gute wollen, das Opfer der Bemühungen derjenigen sind, die das Gute, aus egoistischen Rücksichten, nicht wollen. Ich muß mich ausführlich erklären. Die Feldzüge 1792, 1793 und 1794 hatten mich von drei Wahrheiten überzeugt; die erste ist: Preußen könne, nachdem Holland und die österreichischen Niederlande unter französische
Bothmäßigkeit gerathen, die Dauer seiner politischen Existenz nur durch eine feste Vereinigung mit Frankreich erzielen. Die zweite Wahrheit ist: der preußischen Armee mangele ächte Aufklärung, und es sei keine Institution vorhanden, wodurch Generale und Gesandten gebildet werden könnten; das Detail des kleinen Dienstes absorbire einen größern TheiI unserer Aufmerksamkeit, als dienlich sei, absorbiren zu lassen. - Die dritte Wahrheit ist: der Kronprinz hat keine Gelegenheit gehabt,
Beweise eines kriegerischen Genies zu geben. Als ich im Jahr 1795 nach Potsdam zurückkam, äußerte ich den Wunsch, unsere neuen Besitzungen, in militärischer Hinsicht, bereisen zu dürfen. Dieser Wunsch ward mir nicht gewährt; ich besitze noch die abschlägige Antwort des damaligen königlichen Generaladjutanten, Obristen von Zastrow, eines Mannes, der sich als meinen Freund bewiesen hat, dessen Meinungen ich
aber nicht in allen Rücksichten beipflichten konnte. Das Jahr 1795 verfloß mit fruchtlosen Bemühungen, die Reisen der Officiere des Generalquartiermeisterstaabes in Gang zu bringen; man hatte die Anzahl dieser Officiere vermindert; man hätte ihre Anzahl vermehren sollen. Auch der Obriste von Grawert hatte um die Erlaubniß gebeten, das linke Ufer der Weichsel, und die Gegenden zwischen diesem Strom und der Pilica bereisen zu dürfen: auch ihm war die
Genehmigung dieser Bitte von dem königlichen Generaladjutanten, unter einem in der That sehr nichtigen Vorwande, abgeschlagen worden. Man wollte sich nicht zu der Idee erheben: im Frieden müsse man an den Krieg denken; und es sei für jeden Staat, besonders aber für den, an physischen Hülfsmitteln armen preußischen Staat, höchstes Bedürfniß, intellektuelle Kräfte zu wecken, und dieselben in großer Masse zu sammeln. - Ich setzte Alles daran, diese Reisen der Officiere
des Generalquartiermeisterstaabes in Gang zu bringen. Ich würde diese Absicht nicht erreicht haben, wenn ich den General Bischofswerder nicht für meine Absicht gewonnen hätte. Mit diesem Manne stand ich in freundschaftlichen Verhaltnissen. So viel Böses man auch immer von ihm sagen mag, - ich habe nichts an ihm gemerkt, was mir nicht eine gute Idee von der Redlichkeit seines Charakters und von seinen nicht ganz ungewöhnlichen Kenntnissen gegeben hätte. Fehlerfrei ist er
nicht. Er liebte seinen König aufrichtig, und hatte von der Politik die Begriffe, die er haben konnte. - Ihm habe ich mein Glaubensbekenntniß von der gefahrvollen Lage des Staats unverholen offenbart, und ihm schon im Jahr 1795 gesagt: »Es bleibe Preußen nichts übrig, als sich mit Frankreich zu verbinden, wenn wir nicht unter das russische Joch kommen sollten.« - Bischofswerder konnte oder wollte sich nicht mit der Idee familiarisiren: ein Monarch könne eine aufrichtige
Verbindung mit einer Direktorialregierung eingehen. Vergebens stellte ich ihm vor; die englische Verfassung, unter einem so schwachen Manne, wie Georg III., wäre nichts anders, als die französische Direktorialregierung. Könne man aber mit der englischen Regierung Unterhandlungen pflegen, so könne man das auch mit der französischen, mit welcher man ja den Frieden unterhandelt hätte, und also wohl noch einen Schritt weiter gehen könne......
Bischofswerder: »Sie gehen zu weit, Maßenbach; - eine solche Idee darf ich kaum wagen; - auch kann ich Ihrer Meinung nicht beipflichten; Allianz! Das ist zu früh! Die Dinge in Frankreich haben noch keine e Consistenz!« Ich. »Frankreich ist Herr von Holland, Ew. Excellenz! - und in seinen Grenzen unangreifbar! - Doch, wenn Ew. Excellenz dieser Meinung nicht sind, so unterstützen sie doch wenigstens meinen Antrag, wegen der Reisen der Officiere des Generalstaabes; ich kann Zastrow nicht
zum Sprechen bewegen; er ist stumm, wie ein Fisch.« »Die Reisen will ich in Anregung bringen«, antwortete Bischofswerder. - Sie nahmen im Jahr 1796 ihren Anfang; doch wurden sie nicht auf allen Grenzen des Staats in dem Geiste gemacht, in welchem sie, nach dem Vorschlag des Obristen Grawert, hätten gemacht werden sollen. Es herrschte in den Arbeiten der Officiere des Generalquartiermeisterstaabes keine Einheit. Diese Einsicht suchte ich, in Verbindung mit dem
Obristen von Grawert, herbeizuführen. Sie würde auch herbeigeführt worden seyn, wenn dieser Mann zum Generalquartiermeister ernannt worden wäre. Sobald er aus dem Generalstab heraustrat, war es mir nicht nur schwer, es war mir selbst unmöglich, seine Ideen auszuführen. Generalquartiermeister war der General von Geusau; auf ihn folgten die Obristen von Lecocq und von Phull. Jener war bei der Demarkationsarmee in Westphalen angestellt; dieser hatte das
ostpreußische Kriegstheater zu bearbeiten. Ich bearbeitete das schlesische Kriegstheater, und stand auf dem vierten Platze, weil ich auf den Obristen von Phull folgte. Daher konnte und durfte ich mit meinen Ideen über Reorganisation des Generalstaabes nicht hervortreten; ohne auf die unüberwindlichsten Hindernisse zu stoßen. Die Zeit mußte ich abwarten, wo ich um Eine Stufe wenigstens höher stieg. Diese Beförderung trat ein, als der Obriste von Lecocq in die Armee
versetzt wurde, und ich, allem Rechte zu Folge, der zweite Generalquartiermeisterlieutenant werden mußte. Dieses Avancement hielt der Generaladjutant, Major von Holzmann, so lange wie möglich zurück, weil dieser Mann mein Freund nicht war, und vielleicht eine Ahnung hatte, wohin ich strebe. Ich legte einen Werth auf die Beförderung zum Generalquartiermeisterlieutenant, nicht des langen Titels wegen, sondern weil mir diese Ernennung ein Recht gab, mit
meinem Vorschlage, den Generalstaab zu organisiren, hervortreten zu können. Dies geschah jetzt. Damit machte ich den Anfang, meine Ideen dem Obristen Phull zur Prüfung vorzulegen, und ihn um die Erlaubniß zu bitten, meinen Aufsatz, wenn er ihn genehmigt haben würde, auch unserm Chef, dem General Geusau, vorlegen zu dürfen. Von dem Obristen Phull bekam ich eine ausweichende und kalte Antwort; ich bat um eine bestimmte Erklärung, und sprach mit Wärme von der
Wichtigkeit der Sache und von ihrem Einfluß auf das Schicksal des Staats. Ueberzeugt, daß ich den für neue Ideen und Einrichtungen hermetisch verschlossenen Generaladjutanten, nämlich den Major Holzmann, für meine Ansicht nicht würde gewinnen können, - suchte ich den ersten Generaladjutanten des Königs, den General Kökriz, vorzüglich aber den General von Büchel für die Sache zu interessiren. - Mir glückte Beides. Es fand beim
General Rüchel eine Zusammenkunft Statt, in welcher ich meinen Aufsatz beiden Generaladjutanten vorlas. Sie mußten wenigstens hören, was sie vielleicht ungern selbst gelesen haben würden. - Dies geschah im Frühjahr 1802. Mein Entwurf wurde dem König vorgelegt, ich erhielt ein in sehr huldvollen Ausdrücken abgefaßtes Kabinettsschreiben. Diese huldvollen Ausdrücke waren jedoch ein Firniß, dessen Glanz mich nicht blendete. - Mein Entwurf wurde dem Herzog von Braunschweig
und mehrern andern Generalen zur Prüfung vorgelegt. Ich fand Gelegenheit, einige der Briefe zu sehen, womit der Major von Holzmann diesen Entwurf begleitet hatte. So aufmunternd die Worte des an mich gerichteten königlichen Briefes waren, so kalt war die Sprache in diesen Begleitungsschreiben; und so hatte ich denn vollwichtige Dokumente in Händen, welche mir über die Denkungsart des Majors von Holzmann keinen Zweifel übrigließen. Dieses Hinderniß schlug meinen Muth nicht nieder;
es verstärkte ihn vielmehr. Auf der mit dem Herzog von Braunschweig und dem Obristen von Laurenz und von Phull in Ostpreußen gemachten militärischen Reise hatte ich endlich diesen Letzern gewonnen; und er war es, der mir unter dem 20sten August (1802) diese Worte schrieb: »Nicht nur mit der größten Bereitwilligkeit, sondern auch mit dem Eifer, den der Wunsch für das Gute einflößt, unterschreibe ich Deine, die Organisation des
Generalstaabes betreffende Vorschläge. Beschwören will ich es vor der ganzen Welt, daß diese Organisation vortrefflich, daß sie dringend nothwendig ist; vertheidigen will ich sie gegen jeden, der sie anzugreifen wagt.« Voll Vertrauen auf diese Zusicherungen eines Mannes, dessen Kälte bisher ein großes Hinderniß gewesen war, legte ich den von den Obristen Phull genehmigten Entwurf dem Könige im Monat Oktober noch einmal vor, und bat dringend um die
Verwirklichung einer Sache, welche den Beifall des Herzogs von Braunschweig, des Feldmarschalls von Möllendorf, des Fürsten zu Hohenlohe, der Generale von Rüchel und von Geusau erhalten habe, und das Beste des königlichen Dienstes befördern würde. Vergebens wartete ich auf eine Antwort. Der Major Holzmann war verschlossen, wie ein Karthäusermonch. Wenn ich mich an den General Kökriz wandte, ward ich mit milden, tröstenden,
eigentlich aber nichts sagenden Worten hingehalten. Die Monate Januar und Februar verflossen unter fruchtloser Erwartung. Die Feier des Geburtstages der Königin gab mir Gelegenheit, nach Berlin zu gehen, und den Major Holzmann im königlichen Palais selbst zu sprechen. Sonst wenig geübt in der Verstellungskunst, nahm ich mir vor, diesesmal meinem Feinde eine Schlinge zu legen. Vertrauungsvoll näherte ich mich dem blaßgelben, hagern,
gallsüchtigen Holzmann. Er war beim Souper, und aß mit vielem Appetit eine Pastete. - Ein Glas Champagner in der Hand, frug ich ihn nach seinem Befinden, und leerte das Glas auf seine Gesundheit aus. Die Dominikanerphysiognomie erheiterte sich; ein Wort gab das andere, und, wie von ungefähr auf die Materie kommend, die mir am Herzen lag, sagte ich ihm mit sanfter, einschmeichelnder Stimme: »lch habe ein manchen Dingen meine Meinung geändert; und ich gäbe viel, wenn ich meinen
Aufsatz zurückerhalten, und Manches einschalten, Manches wegstreichen könnte.« - Holzmanns Miene wurde noch freundlicher, und mit dem Lächeln der Zufriedenheit antwortete er: »Das habe ich längst vermuthet; auch befindet sich der Aufsatz noch in meinen Händen.« Ich. (Sehr vertrauungsvoll) »Der König hat ihn also danach nicht gesehen?« Holzmann. »Nein! - ich habe ihn noch in meinem Büreau. - « Ich. (Mit großem Ernst und mit dem Zorne der Indignation) »Aber, Herr
Major, wer erlaubt Ihnen, ein dem König eingereichtes Memoire ein halbes Jahr in Ihrem Schreibtisch verschlossen zu behalten? - Warum haben Sie mir auf alle meine Erinnerungsbriefe nicht geantwortet? - In diesem Augenblicke gehe ich zum Könige, und beklage mich über Ihr pflichtwidriges Betragen.« Holzmann stand wie versteinert da; - der Schreck, den ich ihm verursachte, hat vielleicht zu seinem Tode beigetragen; er setzte zitternd den Teller hin. - Ich ging zum Könige; Tempelhof
sprach mit ihm. - So wie diese Unterredung,einen Augenblick stockte, trat ich dem Könige näher, und bat Se. Majestät, sich meinen im Oktober eingereichten Aufsatz von dem Major Holzmann vorlegen lassen zu wollen. - Dies geschah am folgenden Tage, und die Generale von Geusau, von Tempelhof und von Rüchel bekamen den Befehl, meinen Vorschlag noch einmal zu prüfen. Die beiden Letztern genehmigten beinahe alle neue Einrichtungen; der General von Geusau änderte Manches
ab; und diese Abänderungen geschahen im Beiseyn und mit Zustimmung des Obristen von Phull. Die Hauptsache: der aus den drei Generalquartiermeisterlieutenants bestehende engere Ausschuß war von dem Generallieutenant von Geusau genehmigt worden. Der Obriste Phull wunderte sich selbst darüber, und sagte mir einst beim Herausgehen aus des Generals Hause: »Der Alte hat das stehen lassen; er weiß nicht, wohin es führt. Ich hatte eine Todesangst, wie Du die den
engern Ausschuß bestimmende Stelle lasest, und fürchtete, das Ungewitter würde losbrechen. Nun haben wir gewonnen.« So weit hatte ich also die Sache gebracht, daß sie von den drei Kommissarien des Königs und von dem Obristen Phull geprüft und genehmigt worden war. Ich kann nicht läugnen, in diesem Augenblick hatte ich das frohe Gefühl, einen vollständigen Sieg davon getragen zu haben; ich war mit mir selbst zufrieden.
Warum hätte ich es auch nicht seyn sollen? Ich hatte einen guten Kampf gekämpft. Den Obristen Phull hatte ich gewonnen, und die drei königlichen Kommissarien, nämlich die Generallieutenants von Geusau, von Rüchel, von Tempelhof, hatten meine Vorschlage geprüft und genehmigt. Noch ein anderes glückliches Ereigniß trat ein. Der Major Holzmann starb, und ich betrachtete den Tod dieses Mannes, mit allem Recht, als ein glückliches Ereigniß für den
Staat überhaupt, und die Ausführung meiner Ideen insbesondere. Dies geschah im Frühjahr 1803. Ein neuer Generaladjutant mußte gewählt werden. Man konnte mit dieser Wahl nicht zu Stande kommen. Es kam mir vor, als sollte ein Pabst gewählt werden, und die Kardinäle könnten sich nicht vereinigen. Der General Zastrow mußte aus Posen geholt werden, die schwierige Wahl zu bestätigen, die auf den Major Kleist, Chef eines Grenadierbataillons, gefallen war. General
Zastrow bearbeitete einige Wochen die Geschäfte des Generaladjutanten, und er war es, der die Generalstaabsangelegenheit zum Vortrag brachte. Das war ein Unglück! General Zastrow hatte nicht die Ansicht von dieser Organisation, die er hätte haben sollen. Er brachte Bestimmungen hinein, welche bewiesen, daß er in den Geist der Sache nicht eingedrungen war. Auch verminderte er die ausgesetzten Gehalte, und erregte dadurch bei denjenigen,
welche bei der neuen Einrichtung eine Erhöhung ihres Gehalts gesehen hatten, also in so fern mit der Sache zufrieden gewesen waren, aber wohl merkten, daß sie künftig eben keine bequemen Tage haben würden, großes Mißvergnügen. - Der Obriste von Phull, der bisher Alles genehmigt hatte, stand an der Spitze der Mißvergnügten! Der General Zastrow muß mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich mich als Phulls Freund bewiesen habe.
Unter allen meinen Kameraden bemerkte ich viele Bewegungen. Der Obriste Phull sprach oft mit dem General Zastrow; mit mir sprach er selten, und dann nur ungemüthlich und kalt. Der General Zastrow und der Major Kleist, jetzt wirklich bestallter Generaladjutant, Beide vermieden es, sich mit mir über die Materie einzulassen. Es war augenscheinlich, daß Dinge vorgingen, die für mich ein Geheimniß bleiben sollten. Man ging mit diesem Geheimniß nicht sehr sorgfältig um. Der König
machte eine Reise nach Franken, und hielt Revue in Fürth. Da wurde einem Dritten entdeckt: der Obriste Phull habe den Auftrag, den Organisationsentwurf des Generalquartiermeisterstaabes noch einmal zu revidiren. Dieser Dritte theilte das Geheimniß einem Vierten, dieser einem Fünften mit; und so erfuhr ich es in - Breslau! Einige Monate später glückte es mir, den Gegenentwurf selbst in meine Hände zu bekommen. Nun war das, was am 20sten August (1802) mit
dem Namen des Vorzueglichen beehrt worden, jetzt absurd, was damals nothwendig gewesen seyn sollte, wurde jetzt als eine Lächerlichkeit dargestellt. So handeln die Menschen! Und weil sie so handeln, müssen Staaten untergehen, wo der Partikularismus dem Universalismus entgegenarbeitet. Ich begnügte mich, dem Generaladjutanten des Königs die eignen Handschriften des Obristen Phull vom 17ten und 20sten
August vorzulegen, und drang nun darauf, daß einer von beiden Entwürfen, welcher es wolle, zur Ausführung gebracht würde. Dieser Kampf mit dem Generaladjutanten dauerte in den Monaten Oktober, November und Dezember bis zu der Zeit, da der König nach Berlin ging. - Ich wandte mich an die Kommissarien, welche meinen Entwurf geprüft und genehmigt hatten; ich betrachtete sie als die Gewährleister dieses Traktats. General Tempelhof wollte neutral seyn und von der
ganzen Sache nichts mehr hören. Er erklärte sich sehr derb über das Verfahren, wo man Generallieutenants befrage, und das, was sie für gut befunden, von einem Obristen wieder umstoßen lasse. General Geusau war nicht weniger entrüstet. General Rüchel war für die ganze Sache kalt geworden. Mir schien es, als habe der Kapitain Knesebeck, von je her Phulls Freund, das Ohr seines Generals gewonnen; - und auch er,
dessen Meinungen ich eingeholt, geprüft und benutzt hatte, sei nun gegen diese Einrichtung. Habe ich durch diese Vermuthung dem Herrn von Knesebeck Unrecht gethan, so will ich gern gefehlt haben. Entschlossen, auf dem halben Wege nicht stehen zu bleiben, und das Ende herbeizuführen, es koste auch was es wolle, brachte ich es endlich dahin, daß der König den Generallieutenant von Grawert beorderte, nach Potsdam zu kommen, und die neue Einrichtung des
Generalquartiermeisterstaabes einzuführen. - Meine Freunde betrachteten diese Auflösung des Knotens mit Freuden; meine Feinde haßten mich um so mehr. Ich durfte mit Zuverlässigkeit darauf rechnen, daß der General Grawert in dieser Angelegenheit mit gewohnter Energie handeln würde, da es vorzüglich seine Ideen waren, die ich in Vorschlag gebracht; da er mich beständig aufforderte, die Sache durchzusetzen und bei Bekämpfung der Hindernisse den Muth nicht zu verlieren. Bald
sah ich indessen, daß auch der General Grawert nicht mit dem Nachdruck handelte, mit welchem gehandelt werden mußte. Der Obriste Phull widersetzte sich geradezu den Befehlen des Königs, deren Ausführung dem General Grawert aufgetragen worden war, und dieser meldete den begangenen Ungehorsam nicht sofort an den König. Mit Einem Worte: auch von dem General Grawert wurde die Sache nicht mit Kraft unterstützt. Wenn General Grawert den König zu sprechen hatte, so
geschah dies nicht auf eine förmliche, der Wichtigkeit der Sache angemessene Art, sondern gelegentlich, wenn er dem Könige bei einem Ball u.: dgl. begegnete.- Ich habe keinen Anstand genommen, dem General Grawert meine Befremdung über sein Betragen zu erkennen zu geben. Sein Auftrag bestehe nur darin: die Organisation einzuführen; die Komposition könne er nicht ändern, war seine Entschuldigung. Aber in dieser Komposition lag der Saamen der Zwietracht, also der Vernichtung. Die organischen Gesetze der neuen Einrichtung wurden noch einmal von dem Generaladjutanten revidirt, und er durchstrich alles dasjenige, was den Generalstaab dem Könige näher, und den engern Ausschuß in eine Verbindung mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten gebracht haben würde. Der Generaladjutant wollte die Rolle des hochwichtigen Mannes fortdauernd übernehmen, die ihm bisher aufgetragen gewesen war. Er wollte ohne Kenntniß der Lokalitäten, ohne Kenntniß der
Armee (denn er kannte eigentlich nur die Potsdamer und Berliner Inspektion, und wußte nicht, was für ein Geist in den Provinzen herrschte); er wollte ohne tiefes Eindringen in die neuere Geschichte des Handels, und ohne richtige Beurtheilung der jetzigen Lage der Welt, mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten die Operationsplane der Kriege bearbeiten, welche zu führen seyn würden. Die neue Einrichtung des Generalquartiermeisterstaabes kam also nur kärglich zu Stande.
Noch immer verlor ich den Muth nicht ganz; das Fundament war gelegt, darauf wollte ich fortbauen. Ich nahm mir vor, alle meine Kräfte aufzubieten, die Officiere meiner Brigade für die Sache zu gewinnen, und das Licht der Aufklärung von unten nach oben schimmern zu lassen, da es unmöglich war, dieses Licht am Firmament des Staats selbst zu befestigen. Es befanden sich einige vortreffliche junge Männer bei dieser
Brigade: Rauch, Valentini, Steinwehr, Bühl..... Im Sommer 1804 bearbeiteten wir den Kriegsschauplatz auf dem rechten Ufer der Oder in der Richtung von Cosel nach Czenstochow, und im Winter das Detail eines Operationsplans, den ich, unter gewissen Voraussetzungen, deren nähere Angabe nicht hierher gehört, entworfen hatte. Wir lasen die Geschichte merkwürdiger Feldzüge; es war mir geglückt, ein vortreffliches Journal von den Operationen der französischen
Armee im Jahr 1800 zu bekommen. Auf der großen Charte von Bucler d'albe verfolgten wir die Bewegungen der Armee, die bei Marengo siegte. Alle fanden Interesse an diesen Arbeiten, und nie ist mir ein Winter auf eine angenehmere Art verflossen. Es war festgesetzt worden, daß alle drei Generalquartiermeisterlieutenants mit den Officieren ihrer Brigaden sich in Potsdam aufhalten, und mit ihnen auf eine
ähnliche Art arbeiten sollten. Die Obristen von Phull und von Scharnhorst kamen selten nach Potsdam, und beschäftigten ihre Officiere von Berlin aus, durch allerlei schriftliche Aufgaben. Dies war gegen die Konstitution. Noch mehr wurde dieser Konstitution dadurch entgegengehandelt, daß der Generallieutenant von Geusau von den Arbeiten des engern Ausschusses eigentlich gar nichts wissen wollte. Er hatte diesen engern Ausschuß genehmigt; jetzt glaubte er,
seine Autorität werde dabei kompromittirt. Diese Autorität würde nicht nur nicht kompromittirt, sondern das Ansehen und die Würde des Generals von Geusau, und sein wohlthätiger Einfluß auf das Schicksal des Staats würden durch diesen engem Ausschuß gehoben worden, und die Arbeiten des Generalquartiermeisterstaabes und des Ingenieurkorps würden in die nahe Verbindung gekommen seyn, in welcher sie eigentlich stehen mußten. Die drei Ingenieur-Brigadiers würden
mit den drei Brigadiers des Generalstaabes gemeinschaftlich gearbeitet haben; und diese Einrichtung, deren Grundlage gelegt war, erhob den General Geusau zu dem, was er eigentlich seyn mußte, nämlich zum Kriegsminister. Indem der General Geusau dem engern Ausschusse des Generalstaabes entgegenarbeitete, arbeitete er seinem persönlichen und dem Interesse des Staats entgegen. Er arbeitete seinem persönlichen Interesse entgegen, weil er,
absorbirt in die Rechnungen des Mobilisirens und Demobilisirens, vertieft in die Details der fortifikatorischen Bauten, sich um die geistigen Arbeiten des Generalquartiermeisterstaahes wenig bekümmern, und überhaupt nicht als leitende Intelligenz dastehen konnte. Er arbeitete dem Interesse des Staats entgegen, indem er, zu viele Arbeiten auf seine Schultern nehmend, diesen herkulischen Arbeiten nicht gewachsen bleiben konnte. Das
Interesse des eignen Ruhms der hohen Staatsbeamten und das Interesse des Staats werden verkannt, sobald man in dem Glauben steht, es bedürfe keiner organischen Vorrichtungen, um die Staatsarbeiten zu erleichtern. Wenn ich in diesen ersten Vorschlägen den General Geusau als Kriegsminister designirt; so geschah es, weil ich ihn für den Würdigsten hielt, diesen Posten zu bekleiden. Er hatte die Lage des Staats und die Bahn, welche der Staat durchlaufen war,
seit dem Jahr 1760 mit einem philosophischen Auge betrachtet. Seine Erfahrungen waren gereift; seine Redlichkeit ist über allen Tadel erheben. - Er war also, nach meiner Einsicht, der Würdigste. Er würde eine große Kraft geäußert haben, wenn seine Verhältnisse nicht beständig seine Gemüthlichkeit reitzen mußten. - Der Staatschef muß bei dergleichen Wahlen das Interesse des Staats und den Mann betrachten, der es befördern kann. - Persönliche Zuneigung kann die Wahl eines
Kammerherrn entscheiden; auf die Wahl eines Staatsmannes muß sie keinen Einfluß haben. Georg II. verdient deswegen die Achtung der Nachwelt, weil er Pitt (Chatham), und Georg III., weil er Pitt und Fox wählte, ungeachtet diese Könige diese Männer eben nicht liebten. In eben dem Maaße, in welchem die drei Generalquartiermeisterlieutenants in die Fugen der höhern Militairverhältnisse mit großem Nachdruck eingriffen; in eben
dem Maaße, in welchem die Officiere des Generalstaabes, welche bei kriegführenden Armeen als Freiwillige, oder unter jeder andern Form Dienste thaten, Kenntnisse des wirklichen Krieges sammelten, und die Aufmerksamkeit von den Spielen des Krieges auf den Ernst des Krieges hinzogen: in eben diesem Maaße verringerte sich das Ansehen des Generaladjutanten, sobald er der Mann nicht war, der sich zu diesen Ideen und Ansichten erheben konnte.
Indem die drei Generalquartiermeisterlieutenants dem Könige näher traten, und ihre Ansichten von Verbindung der Operationen des Kriegs mit den Einrichtungen des Friedens, dem Monarchen vor Augen legten, indem die Officiere des Generalstaabes, welche jedem Gesandten beigegeben werden sollten, Berichte über die strategischen und staatswirthschaftlichen Maaßregeln der fremden Höfe einsandten: in eben diesem Maaße verminderte sich das Ansehen der beiden andern geheimen Kabinettsräthe, nämlich
des Kabinettsraths der politischen, und des Kabinettsraths der staatswirthschaftlichen Angelegenheiten, sobald nämlich diese Männer nur diplomatische Briefsteller waren, oder die Kraft nicht hatten, aus dem engen Ideenkreise des Faches in den weiten Horizont der Weltangelegenheiten zu treten. In jedem Falle würden diese Männer auf ihren Posten geblieben seyn; aber es bildete sich ein auf die Kenntniß der
Strategie und Politik basirter geheimer Staatsrat; und dieser geheime Staatsrath bestand aus dem Generalquartiermeister oder Kriegsminister, den drei Generalquartiermeisterlieutenants, den drei Ingenieurbrigadiers, und den gewöhnlichen Kabinettsräthen. Durch diese Organisation des geheimen Staatsraths geschah es, daß die ächte Politik und Strategie das Uebergewicht bekamen über den diplomatischen und über den ökonomischen und rechtsgelehrten Kabinettsrath. Der
Generalquartiermeisterstaab wurde die Pflanzschule dieses geheimen Staatsraths; er wurde die Pflanzschule der Generale und der Gesandten. Bis jetzt hatte man den Generaladjutanten des Königs, d. h. den Kriegsminister des Königs, aus den Majoren der: Infanterie; den Kabinettsrath der Civilangelegenheiben, d. h. den Minister der Staatswirthschaft, aus den Kammergerichtsräthen; den Kabinettsrath der politischen Angelegenheiten; aus den
Zöglingen des französischen Predigerseminariums - auf gut Glück gewahlt. - Ich wollte eine Staatsinstitution gründen, in welcher ächte intime Minister, Gesandten, Staatsmänner und Generale gebildet werden konnten. - Das war die Idee, die mich begeisterte! Ehe man es sich versah, wollte ich an die Stelle der den Staat vernichtenden Staatsverwaltung eine schöpferische, eine erhaltende Staatsintelligenz setzen, und diese kleine Revolution
sollte eben so unmerklich geschehen, als sie wohlthätig gewesen seyn würde. Das war das Ziel, nach dem ich strebte! (Herv. DH) Will man mich dieses Zweckes und dieses Geständnisses wegen noch um einige Grade mehr hassen, so steht das jedem frei. - Meinen Zweck erreichte ich nicht. Die dabei interessirten Personen kamen meinen Absichten früh genug zuvor, weil sie eine persönliche Gefahr befürchteten, die nicht einmal Statt
fand. Alles wurde so eingeleitet, daß in den Arbeiten des Generalstaabes keine Einheit Statt finden konnte, und daß die drei Generalquartiermeisterlieutenants, durch ihre Ansichten in ihren Meinungen getheilt, in divergirinden Bahnen wandeln mußten. Dem Obristen Phull hatte ich alle diese Ideen in einer gewissen Entfernung gezeigt; mit dem Obristen Scharnhorst habe ich nie darüber gesprochen: wir waren uns noch zu fremd. Der Obriste
Phull sah mein planmäßiges allmähliges Vorschreiten, und fürchtete es vielleicht, weil eine anhaltende Arbeit seine Sache nicht ist. Dem Herzog von Braunschweig hatte ich meine Idee am vollständigsten vorgelegt; er gab ihr in Braunschweig schon im Jahr 1801 seinen ganzen Beifall, und empfahl mir Behutsamkeit und Vorsicht. - Beide habe ich nicht in dem hohen Grade beobachtet, in welchem ich sie hätte beobachten sollen. Die Kunst, eine gute Sache zu verhüllen, weil ihre frühe
Enthüllung schadet, besaß ich nicht in dem hohen Grade, in welchem man sie an Höfen besitzen muß; es war auch nicht möglich, meine Absicht so zu verschleiern, daß sie nicht hätte durchschimmern sollen. Um diesem geheimen Staatsrath Konsistenz zu verschaffen, war es nöthig, eine Idee festzusetzen, welche als Einheit diente. Diese Eine Idee war: Preußen muß sich bis zu seinen natürlichen Grenzen erweitern; Preußen muß also wieder ein erobernder Staat werden. (Herv. DH)
Sobald diese Idee den Gesichtspunkt angab, aus welchem alle Operationen des Staats betrachtet werden mußten, so entstand eine Einheit, und alle Diversität der Meinungen verschwand. Aus dieser Einheit entsprangen alle Staatsorganisationen. Die Nation z. B. ward Armee, und die Armee Nation; und das Föderativsystem von der Weichsel bis an die Weser entwickelte sich ebenfalls aus dieser Idee. Den engem Ausschuß des Generalquartiermeisterstaabes
betrachtete ich also als das Mittel, alle diese Ideen nach und nach ins Leben zu rufen. - Man kann sich denken, wie genußreich alle die Stunden waren, welche ich auf die Bearbeitung dieser Ideen verwandte, und mit welcher Beharrlichkeit ich auf der Einführung dieser Organisation bestehen mußte; meine moralische Existenz war damit verbunden. Ich komme noch einmal auf die Arbeiten des Generalquartiermeisterstaabes zurück. - Jeder der beiden
andern Brigadechefs handelte nach seinem Sinn, wie ich schon gesagt habe; die Konstitution wurde nicht geachtet, und beinahe in keinem Stück beobachtet. Wie konnte sie auch geachtet werden? Das Gesetz war gegeben; aber seine Vollstreckung wurde von der königlichen Autorität nicht unterstützt. Der Mann des Königs, der Generaladjutant, war nicht ihr Beschützer. Indem der Obriste Kleist es mit den Personen nicht verderben wollte, verdarb er die Sache. Der
preußische Staat ist untergegangen, weil man immer die Persönlichkeit, nie die Sache ins Auge faßte! Es war als ein Fundamentalgesetz aufgestellt worden, daß unsere Rekognoszirungen auf allen Kriegstheatern an den entferntesten Grenzen des Staats ihren Anfang nehmen, und nach dem Herzen des Staats zurückgehen sollten. So sollte z. B. die dritte Brigade ihre Rekognoszirungen an der Ems und am Mayn anfangen. Man fand es für gut, die Ufer der
Leine und der Havel zu rekognosziren. Wenn mein Vorschlag befolgt worden wäre, und man schon im Jahr 1804 das Fichtelgebirge, das Rönnegebirge, das Thüringer Gebirge; die Ufer des Mayns und der sächsischen Saale untersucht hätte, - würde man im Jahr 1806 nicht mit hellem Augen gesehen haben? In den Jahren 1801 bis 1803 konnte ich freilich nicht wissen, was im Jahr 1806 geschehen würde; aber der Grundsatz,
welchen ich im Jahr 1803 aufstellte, und welcher auch vom Könige selbst genehmigt worden war, nämlich bei den Rekognoszirungen auf die oben erwähnte Art zu Werke zu gehen, würde vielleicht den Staat im Jahr 1806 wenigstens von diesem schnellen Untergange gerettet haben, weil der Obriste Scharnhorst dann vielleicht selbst für eine frühzeitige Operation nach Franken gestimmt haben würde. Als eine den Untergang des Staats beschleunigende Ursache betrachte ich also die
Diversität der Meinungen, welche unter den drei Generalquartiermeisterlieutenants herrschte. Durch die Briefe, welche ich in dem Zeitraume von drei Jahren an den Obristen Phull geschrieben, kann ich beweisen, wie sehr ich es mir habe angelegen seyn lassen, diesen Mann, ehemals meinen Freund, für diese Ansichten zu gewinnen. Mit Thränen habe ich ihn beschworen, sich der Sache des Staats und des Königs anzunehmen. Man kennt die Ungemüthlichkeit dieses
Mannes, dem ich Talente und Kenntnisse nicht absprechen will. Der Obriste von Scharnhorst muß mir öffentlich die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich Alles gethan habe, sein Vertrauen und seine Freundschaft zu gewinnen. Handelte der Obriste Phull nach den Eingebungen seiner Launen, so ließ sich der Obriste Scharnhorst von seiner Ansicht der Welt, von seiner Liebe für Hannover und England, und von
seinem, mit der Muttermilch eingesogenen Haß gegen Frankreich fortreißen. - Wir konnten also nicht einig werden. (Herv. DH) - Der General von Geusau war nur dem Namen nach unser Chef; dem Wesen nach war es der königliche Generaladjutant, Obrist Kleist. Der Generaladjutant eines Königs von Preußen war auch immer der Generalquartiermeister des Königs, und selbst sein Kriegsminister. Zu diesem dreifachen Amte gehörten Talente, Kenntnisse, und,
was das Wichtigste war, ein großer genialischer, Alles umfassender Kopf, der die Kaducität des Herzogs von Braunschweig ersetzen, und Napoleon das Gleichgewicht halten konnte. Ein solcher Kopf war nicht vorhanden, oder wenigstens noch nicht aufgefunden worden. Arbeitsamkeit und guter Wille füllten das Vacuum nicht aus! Der Obriste Zastrow hatte dem Posten eines Generaladjutanten mit vieler Selbstständigkeit vorgestanden, und er würde ihn vollkommen ausgefüllt haben,
wenn er, mit seinem richtigen und schnellen Blick, tiefe Kenntniß der Geschichte und des wahren Verhaltnisses Englands und Frankreichs früher verbunden, und sein Geschäft ihm Zeit genug übrig gelassen hätte, seine Bildung zu vervollkommnen. Daß der Obriste von Zastrow das Amt eines Generaladjutanten niederlegte, weil seine Gesundheit es erforderte, ist ein Unglück für den Staat und den König. Er würde mit seiner ganzen Kraft
gegen die russische Allianz gekämpft, und die Idee eines Königs von Großpohlen im Monat Dezember 1805 mit Feuereifer durchzusetzen gesucht haben. Schade, daß ein so hellsehender Kopf, wie General Zastrow, den Franziskaner Mönch Holzmann zu seinem Nachfolger wählte, und nicht daran dachte, daß ein Generaladjutant König Friedrich Wilhelms III. ein Mann seyn müsse, der mit großen Talenten tiefe Kenntniß der Geschichte, der Politik und des
Krieges verbinden müsse, wenn er nicht ein zum Untergang des Staates mitwirkendes Werkzeug werden sollte. - Zum Glück für den König und den Staat lebte Holzmann nicht lange. - Mit den Reisen der Officiere des Generalquartiermeisterstaabes verband ich noch eine andere, vielleicht an ersprießlichen Folgen nicht unfruchtbare Idee. Diese Reisen bestanden theils in solchen, welche auf den inländischen, theils in solchen, welche auf ausländischen Kriegstheatern gemacht werden sollten. So wie
der Generalstaab einige Konsistenz erhalten hatte, wollte ich mit dem Vorschlag hervortreten, daß die Prinzen Wilhelm und Louis und August diese Reisen, sowohl im In- als Auslande, ebenfalls machen, und sich auf denselben von Officieren des Generalquartiermeisterstaabes begleiten lassen möchten. Der Herzog sank allmählig von seiner Höhe herab; alle Generale alterten. Es mußten Generale gebildet werden. Wie konnte die Bildung derjenigen, die einst an der Spitze der Armeen
erscheinen mußten, besser befördert werden, als auf solchen Reisen? Vielleicht wäre in dem Prinzen Wilhelm das Genie des Krieges geweckt; vielleicht wäre, durch bestimmte Arbeiten, der feurige Geist des Prinzen Louis Ferdinand gezähmt; vielleicht wäre aus jedem dieser Prinzen ein Konnetable gebildet worden. Ein Konnetable aber war Preußen nothwendig. Der von dem General Zastrow so sehr verminderte Ausgabeetat ließ wenig Hoffnung übrig, daß diese Reisen ins Ausland in der Folge
genehmigt worden seyn würden; und einer der Umgebungen des Königs fragte mich einst in allem Ernst: ob denn der König zu solchen Spazierreisen Geld geben könne? Solche Entwürfe wollte ich durchsetzen, und mit solchen Ansichten habe ich zu kämpfen gehabt! Es würde mir wahrlich nicht zu verdenken gewesen seyn, wenn ich auf meinem einst gefaßten Entschluß beharrt hätte, die ganze Sache aufzugeben, und den König um meinen Abschied zu bitten. Viele meiner
Freunde rieten mir, diesen Vorsatz auszuführen; aber ich konnte Ideen nicht entsagen, von deren Ausführung ich mir viel Gutes versprach: Ideen, die einmal mit meinem ganzen Wesen verwebt waren. Ich wollte etwas Vortreffliches hervorbringen, Etwas, das alle Staatsverhaltnisse läuterte. Heucheln würde ich, wenn ich nicht sagte: den Ehrgeitz habe ich besessen, auf eine entscheidende Art zum Wohl des Ganzen
beizutragen. - Die Heuchelei veracht`ich. Wie ich bin, so sehe mich das Aug' der Welt. - Auch ich wollte meine Rolle spielen. Dahin strebte ich, im Frieden Einrichtungen zu treffen, die uns in den Stand setzen sollten, den gefahrvollen Krieg glücklich zu führen; durch die Erbauung neuer Festungen, durch die Verbesserung der alten, durch die Erforschung des Landes; in allen Beziehungen des Kriegs glaubte ich diesen Zweck zu erreichen. - Dahin strebte ich, dem Könige diejenigen höhern
Ansichten hinzustellen, die der Lage des Staats angemessen waren, und dem Geiste der Zeit entsprachen. Ich wählte das Mittel, von Zeit zu Zeit sogenannte Denkschriften (Memoires) einzureichen; Es gab kein anderes Mittel, sich dem Könige zu nähern. Auctoritate, non Imperio tractanda est Majestas. In der aus dem Französischen übersetzten Lobrede auf Mark Aurel zeichnete ich, in hinzugefügten Zügen, das Edle und
Große eines Regentencharakters. Lange vor dem Druck überreichte ich der Königin die Handschrift. In ihrem reinen und heiligen Gemüthe sollten diese großen Wahrheiten Wurzel fassen, und auch im vertraulichen Gespräche mit dem königlichen Gemahl wie immer frisch aufblühende Zweige verbreiten. Auch die Uebersetzung der Lobrede auf den Dauphin, Vater Ludwigs XVI., überreichte ich der Königin, weil ich in der Gemahlin jenes für Frankreich zu früh gestorbenen
Fürsten das Bild und Ideal erhabener Weiblichkeit aufgestellt, und gezeigt hatte, welchen wohlthätigen Einfluß eine gebildete Mutter auf die Erziehung der königlichen Sprößlinge haben könne. Mit welcher Wärme näherte ich mich meinem Könige am 11ten December 1801, als meine Ueberzeugungen von der Nothwendigkeit einer bessern Verbindung der Kriegs- und Staatskunde; meine Ueberzeugungen von der Nothwendigkeit
einer bessern Einrichtung des Generalquartiermeisterstaabes; endlich meine Ueberzeugungen von der Nothwendigkeit der Festungen im Osten und Südwesten, den hohen Grad von Lebhaftigkeit erreicht hatten, der mich selbst weder ruhen noch rasten ließ. Meine heißen Thränen benetzten die Hand meines Königs. Den König rührte die Empfindung, mit welcher ich sprach, und von welcher ich durchdrungen war. Wenn ich an der königlichen Tafel, oder bei andern
Gelegenheiten, den König und die Königin und die königlichen Prinzen betrachtete, und sich vor meinen Blicken der weite und tiefe Abgrund hinzog, an dessen jähem Rande der Staat schwebte; so sind mir oft Thränen in die Augen getreten und es ist kein Wunder, wenn mich die Höflinge und die andern Umgebungen des Königs für einen exaltirten Menschen hielten; denn begreifen konnten sie nicht, was in meinem Innern vorgehe und vorgehen müsse. Ich kann wohl sagen, daß ich der
Ehre, an die königliche Tafel gezogen zu werden, jedesmal mit der Ruhe mehrerer Tage und Stunden ein Opfer brachte. Jedesmal bemächtigte sich ein unaussprechlich trauriges Gefühl meines Gemüths. Wie oft habe ich meinen Freunden gesagt: dieser schwermuthsvolle Blick des Königs weissagt mir ein Unglück. Unvergeßlich ist mir der Moment, in welchem ich einst, nach aufgehobener königlichen Tafel, nachdenkend, vor dem Bildniß
des ersten Konsuls stand, und die Königin mich bemerkte, und ich von dem Eindruck sprach, den dieses Bild auf mich mache, von diesem Zuge des Mundes, der Güte und Menschenfreundlichkeit bezeichnet! Mit einem so großen Verstande müsse nothwendig Güte verbunden seyn, äußerte ich; denn wahre Güte entspringe aus der richtigen Beurtheilung der Verhältnisse; großer Verstand könne also nicht ohne wahre Güte, wahre Güte nicht ohne großen Verstand seyn. - Oft weilte
ich vor diesem, in dem königlichen Zimmer aufgestellten Bilde Napoleons. Mich freute dieser Ausdruck der Kraft, und ich hoffte, diese Kraft würde mit dazu verwendet werden, Preußens Macht zu vergrößern, weil ein mächtiger Staat zwischen dem Norden und Süden nothwendig sei. Hab' ich mich denn in allen meinen Ansichten geirrt? - Hab' ich alle Menschen unrichtig beurtheilt? Ist die Reinheit der Idee überall in der Gährung der Leidenschaft untergegangen? So zu
wirken: - darin bestand mein Ehrgeiz! - Nach meiner Ansicht der Dinge, nach meiner Ueberzeugung zu handeln und zu sprechen, die Fürsten zu ehren, das Wohlwollen der Fürsten nicht knechtisch zu suchen, mich durch ihre Mißbilligungen nicht abschrecken zu lassen; mit Einem Worte, nicht von Wahrheit und Recht zu weichen, und sollte ich meinen Untergang finden: - darin besteht mein Charakter. - Mein äußeres Glück ist verschwunden, meinen guten Ruf habe ich verloren; nicht meinen Charakter!
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