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35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
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Das Doppelspiel der NATO:

Mazedonische Protuberanzen im Monat August / Von David Hartstein


Eine Macht, welche uns zum Kriege gegen eine dritte Macht ... zwingen kann, ist eine feindselige Macht. Christian von Massenbach

 

 Wenn die zahlreichen Wortmeldungen der zwischen Brüssel und Skopje pendelnden Vertreter der nordatlantischen Diplomatik, darunter Generalsekretär Robertson und der Allerhöchste Repräsentant der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Solana, eine großinszenierte sommerliche Talkshow wären, bei der der Moderatorin Europa Mikrofon und Leitungskompetenz abhanden gekommen wären, wüßte man nach einigem schmerzhaften Augenreiben ganz gerne, wer für das Konzept eines solchen weniger als mittelmäßig angelegten Stückes Infotainment Urheberschaft und Verantwortung trägt. Eine ziemlich hohe Quote ist zwar garantiert, allein wer wird einem solchen abstrusen Schauspiel länger als fünf Minuten zusehen können, ohne sich zu fragen, wen die Drehbuch- und Setschreiber beim Generalsekretär der NATO eigentlich für dumm verkaufen zu können glauben?

 Der SPIEGEL breitet seine argwöhnischen Vermutungen auf dreieinhalb DIN-A4-Seiten unter der Überschrift „Das Doppelspiel der Amerikaner“ aus; in der SPD-Fraktion meldet sich erstmals seit den siebziger Jahren eine Sperrminorität zu Wort, die sich eine genuin sozialdemokratische Position gegen politische Vorhaben der Regierung im Rahmen der NATO zu eigen macht, die, würden die Abgeordneten an ihr festhalten, mit großer Wahrscheinlichkeit das Ende der mühsam ausbalancierten Geometrie zwischen den „Roten“ und den „Grünen“ noch vor den nächsten Bundestagswahlen zur Folge haben muß. Die besondere Variante des Opportunismus dieser Regierung, in der die Regelkompetenz eines DFB-Schiedsrichters in Permanenz mit der Richtlinienkompetenz eines Bundeskanzlers verwechselt wird, ist dementsprechend auch stets als Moment der Entscheidung der Pfiff, mit dem auf dem Spielfeld „Berliner Republik“ durch „Tatsachenentscheidung“ der Konsens erzwungen wird. Es könnte sein, daß diesmal nicht der Pfiff, nicht einmal Gelb-Rot ausreicht, um die Mitspieler zu besänftigen, die mit einer Entscheidung des Schiedsrichters partout nicht einverstanden sind. Sie haben zwei starke Argumente dagegen. Das eine ist:

Als Konfliktschlichter ist die Nato ungeeignet. Sie besitzt in Mazedonien kein Vertrauen, da sie die kosovo-albanische UCK unterstützte, deren Entwaffnung nicht durchsetzte und trotz Kfor-Präsenz den Waffeneinsatz der UCK in Serbien und Mazedonien nicht verhinderte.

 Was aber die Richtlinie einer Einwirkung der europäischen, zur Friedenswahrung geschaffenen Organisationen schon seit mindestens zehn Jahren hätte sein müssen, was dann sogar zunächst von der deutschen (in ihrem Entwurf „Stabilitätspakt für Südosteuropa“), dann der europäischen Politik seit dem Ende des Videokrieges gegen Serbien als Zielvorgabe proklamiert worden ist, das fordern die SPD-Abgeordneten der Sperrminorität am Schluß ihrer Erklärung von neuem ein:

Die Entwicklungsmöglichkeiten auf beide Konfliktparteien unterhalb der Ebene physischen Zwangs sind noch längst nicht ausgeschöpft. Der notleidende Kleinstaat Mazedonien ist auf ökonomische Hilfe von außen angewiesen und kann zu einer Minoritätenpolitik, die internationalen Standards entspricht, mittels einer Kombination von Anreizen und Druck bewegt werden. Die militanten albanischen Kräfte haben ihre materielle Basis im Einflussbereich der internationalen Gemeinschaft: im Kosovo, in Albanien und in einzelnen Diaspora-Ländern. Dort die Alimentierung des Bürgerkriegs wirksam zu unterbrechen, ist eine bisher höchst unzureichend genutzte Option.

Erforderlich ist deshalb ein langfristig angelegtes politisches und wirtschaftliches Konzept, um der Region eine Perspektive für Frieden, Freiheit und Wohlstand zu geben. Ein richtiger Ansatz ist der von der EU entwickelte Stabilitätspakt für den Balkan. Dieser Stabilitätspakt ist fortzuentwickeln.


Doppelspiel der Amerikaner?

 Es ist eine Sache, sich dafür zu rüsten, mit vertrauenswürdigen und friedensfördernden Überlegungen einer Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Beschäftigungsmaßnahme „Waffen einsammeln“ im Bundestag die Zustimmung zu verweigern. Eine andere Sache ist es herauszufinden, welche intriganten Motive sich hinter der offenkundigen Tatsache verbergen könnten, daß die Waffen, die dann eingesammelt würden, in die Hände der UCK nur durch nun zwei Jahre andauernden „benign neglect“ des bis nach Brüssel zurückzuverfolgenden maßgeblichen Kommandostrangs der KFOR gelangen konnten. Das soll nach der Lesart des SPIEGEL die Machenschaft der „Amerikaner“ sein? Mit Verlaub, da stellen sich bei manchem Beobachter vielleicht doch einige Zweifel ein.

 Wie auch die SPIEGEL-Redakteure wissen, hat sich in den letzten anderthalb Jahren kein anderer Nachrichtendienst durch und im Internet besonders bei amerikanischen Führungskräften, aber auch weltweit, so viel Ansehen erworben wie Stratfor.Com. Wenn man annimmt, daß sich an internationaler Politik interessierte und darin auch kundige Amerikaner von den vorwiegend durch die Axiomatik der Geopolitik geprägten intelligence reports dieser Plattform in Form bringen lassen, dann müssen diese Leser rund um den Globus jetzt völlig verstört und desorientiert sein. Sie sind so verstört und desorientiert wie Stratfor selber; die Berichterstatter dort finden auf das Verhalten der NATO auch keinen geopolitischen Reim mehr, solange man die Voraussetzung zugrundelegt, daß die NATO einen Bürgerkrieg in Mazedonien bzw die Teilung dieses kleinen Landes, das seit seinem Entstehen die besondere Gunst des nordatlantischen Bündnisses zu genießen schien, zu verhindern trachtet.

  Aber ist denn diese Voraussetzung so unumstößlich? Gibt es womöglich einen ganz anderen Konsens über die zukünftige Entwicklung der Balkanstaaten, der an einer ganz anderen Stelle sich herausgebildet hat als in Perzeption und Rezeption der Gutachten von Stratfor oder gar, was ja noch unwahrscheinlicher ist, im Kabinett des George W. Bush? Zum Auffinden der Antwort auf diese Frage muß man sich einer Tatsache so eindringlich und klar wie möglich vergewissern: Seit dem Beginn der permamenten Intervention der NATO in die Bürgerkriegslage Jugoslawiens (spätestens im Herbst 1998) hat nicht ein von diesem ehemaligen Verteidigungs- und Stabilitätsbündnis proklamiertes Zwischenziel der Prüfung durch die danach wahrzunehmende Wirklichkeit standgehalten. Soviel Ungeschick und Unvermögen kann gar nicht unterstellt werden, als daß sich nicht die Erkenntnis aufdrängen müßte, daß das mittel- und langfristige Ziel der NATO als von den Mitgliedsstaaten und ihren Militärorganisationen relativ selbständiger Kommandokörperschaft gar nicht die Stabilisierung der Verhältnisse auf dem Balkan sein konnte.

 Die Verbalkanung der NATO hat sich proportional zu den Planungen und Vorbereitungen zur Transformation für die neuen „strategischen Aufgaben“ vollzogen. Und es ist nirgendwo zu ersehen, wogegen eigentlich diese strategische Aufgabenplanung das „Bündnis“ verteidigen soll. Noch weniger ist ersichtlich, von wem eigentlich Sekretariat, Militärausschuß und Oberbefehlshaber in letzter Instanz ihren Auftrag erhalten, so viel Desorientierung und letztlich Destabilisierung auf dem Balkan zustandezubringen, wie tatsächlich seit dem Frühjahr zu beobachten ist.

 Es will scheinen, als wären in der NATO die konsensbildenden und Drehbücher verfassenden Stabsinstanzen so wenig am Ort ihrer Tätigkeit und an der personellen Zurechnung von Verantwortlichkeiten zu fassen wie bei der Nachfrage nach der Verantwortung für die Bombardierung der chinesischen Botschaft während des Krieges gegen Jugoslawien. Damals war nämlich die Frage nach Absicht oder Versehen eher zweitrangig, entscheidend war die von diesem diplomatischen Angriff hervorgerufene Wirkung. Welcher persönlich rechenschaftspflichtige Entscheidungsträger eine solche Wirkung hervorrufen konnte und noch kann, das wenigstens zu wissen oder in Erfahrung zu bringen wäre vermutlich eine wesentliche Kontrollaufgabe des NATO-Rates gewesen, um die Funktion der politischen Oberaufsicht souveräner Staaten als Mitglieder dieses Bündnisses zu wahren. Viel hat man an Nachforschungen in dieser Richtung in der Öffentlichkeit nicht vernehmen können. Zu den kurios wechselnden öffentlichen Verlautbarungen des heutigen Generalsekretärs vernimmt man heute in der Öffentlichkeit auch nur wenig.

  Wenn die fleißigen Rechercheure des SPIEGEL aber der Frage noch etwas gründlicher nachgehen wollten, welcher Art das Doppelspiel in der NATO sein kann und dafür ein Beispiel mustern wollten, das sich vor mehr als 20 Jahren in den Wochen und Tagen vor dem NATO-Doppelbeschluß zugetragen hat, die Studien können damit dienen. Wie dieses Doppelspiel dabei über die größte Militärmacht USA verfügt und gleichzeitig innerhalb der NATO die verfassungsgemäße Macht eines schlichten und nur verheerend agierenden Präsidenten auszuhebeln vermag, läßt sich dort nachvollziehen.

 In allen Protuberanzen des Monats August (und das werden nicht nur die eher kleinräumigen des Schauplatzes Mazedonien sein) werden die Zeitgenossen solche und ähnliche Drehbücher und Muster verfolgen können, wenn sie sich der Mühe unterziehen, Zusammenhänge und nicht nur das Unterhaltungs- und Neuigkeitsbedürfnis aller Beteiligten am medialen Tohuwabohu wahrzunehmen.